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Zur Sendung im Dradio am 20.6.09, 6.50Uhr
Interview mit Günter B. Ginzel anlässlich der Abberufung Rolf Verlegers als Direktoriumsmitglied des „Zentralrats der Juden in Deutschland“
 

Edith Lutz
- ein offener Brief -

 

Lieber Herr Ginzel,

                                   Sie sprechen in der o.g. Sendung von „Rolf Verleger und seinen Freunden“, daher fühle ich mich auch angesprochen. Sie werfen uns einen öffentlichen Diskurs vor und bedauern, dass es keinen innerjüdischen Dialog gegeben habe. Dem Bedauern schließe ich mich an. Von uns schriftlich geäußerte Wünsche, einen solchen Dialog zu führen, gelangten leider, von Rolf Verlegers eigener Publikation abgesehen, nicht an die Öffentlichkeit; Schreiben an Gemeindemitglieder blieben unbeantwortet. Aber Versäumtes lässt sich ja vielleicht nachholen.

            Hätte der Dialog stattgefunden, wären Sie vermutlich mit den Vorwürfen an uns zurückhaltender. Ich kommentiere nachfolgend einige Ihrer Äußerungen:

  „Man spricht nicht über Hamas- Terror“ ? – Doch, aber wir bemühen uns, nachprüfbare Fakten aufzugreifen und nicht unkritisch die Meinung regierungstreuer Medien wiederzugeben. So vermissen wir in diesen Medien einen differenzierten Bericht über die Statistik des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen. Eindeutig stammt die Mehrheit der Raketen aus dem Fatah-Lager und nicht von der Hamas. Fakt ist auch, dass die dramatische Zunahme des Raketenbeschusses nach einer Zeit der relativen Ruhe von Israel provoziert wurde: an dem Tag, als die Welt zur Präsidentenwahl nach Washington sah, wurde Gaza bombardiert, wurden  vier Menschen getötet. (Die Kunst des verborgenen Provozierens, des Stichelns vor dem Angriff, beherrscht Israels Oberstes Militär schon sehr lange, wie der Militär- und Geheimdienstexperte Zeev Maoz in seiner Studie Defending the Holy Land aufzeigt.) Wir wollen auch nicht versäumen, auf Ursachen des Terrors hinzuweisen, auf Freiheitsberaubung, Demütigung und Strangulierung.

            „Man spricht nicht über Raketen auf Israel“? Keine Empathie für das Leid der Israelis, meinen Sie? – Als ich im August vergangenen Jahres von Cypern nach Gaza segelte, um die unmenschliche Blockade zusammen mit internationalen Menschenrechtlern zu durchbrechen, hatte ich in vielen Gesprächen und Interviews mit Journalisten Gelegenheit, das Empfinden von israelischen Betroffenen anzusprechen. Bei meiner nächsten Reise werde ich es nach den entsetzlichen Bombardierungen etwas schwerer haben, Verständnis für die israelische Seite zu gewinnen. Ich lade Sie herzlich ein, mich bei meiner geplanten Reise im kommenden August zu begleiten. Dann hätten Sie Gelegenheit, so wie ich im vergangenen Jahr, mit Hanije persönlich zu sprechen und von dem Hamas-Chef zu hören, was er schon unzählige, aber wenig beachtete Male gesagt hat, „wir würden Israel ja anerkennen, wenn wir wüssten, welches, in welchen Grenzen“ (sinngemäß; kann mehrfach belegt werden). Oder vielleicht sagt er Ihnen auch, was er mir, Amira Hass und anderen sagte, „Sehen Sie, wir haben nichts gegen Juden, wir haben etwas gegen Besatzung“.

            „Man spricht nicht über die Ablehnung des Existenzrechts Israels“? Hier gebe ich Ihnen, gemäß dem zuvor Gesagten, Recht. Eine Ablehnung des Existenzrechts steht gar nicht mehr zur Diskussion, zumindest nicht auf der gewählten politischen Plattform, mit der (öffentlich) zu verhandeln sich Israel konsequent weigert. Wiederholt hat die Hamasführung ihre Bereitschaft erklärt, ihre längst als veraltet angesehene Charta nach Verhandlungen mit Israel den Realitäten anzupassen. „Israel ist eine Realität“, sagen Hamasführer und sind bereit, diese Realität als Staat in den Grenzen von 67 und somit in nahezu 80% ihres ursprünglichen Landes Palästina anzuerkennen.

            Man spricht über Israel, das seit seiner Gründung die Quelle des Unfriedens ist. Auch hier bin ich geneigt, Ihnen Recht zu geben. Wenn Begebenheiten, wie die in den Gründungsjahren geplante und in ihrer Realisierung rasch forstschreitende ethnische Säuberung, lange Zeit versteckt oder verdrängt werden, dann führt deren Aufdeckung die Pendelbewegung zwangsläufig in die andere Richtung. Der unter der schmerzvollen Erfahrung einer tiefen Schuld Stehende hat genauso wie der Ignorante das Bestreben, das Pendel wieder in die Mitte zur rücken; er will Schuld auf beide Seiten verteilt sehen.  Er betrügt sich eventuell nicht nur um eine historische Wahrheit, er beraubt sich auch der Möglichkeit, an seiner Schuld zu reifen. Die Erkenntnis und das Aufzeigen vergangener Schuld führt nicht zwangsläufig zur Verdammung Israels. Die Abkehr von ihr und die Hinwendung zum Leid der Palästinenser kann den Weg zu einer gemeinsamen friedvollen Zukunft ebnen helfen.

            Öffentliche Kritik an Israel wollen Sie nur israelischen Bürgern gestatten, nicht den deutschen. Dabei übersehen und überhören Sie, dass regierungskritische, für Frieden und Menschenrecht arbeitende Gruppierungen in Israel, uns auffordern, ja oft uns anflehen, sie zu unterstützen und der politischen Richtung Israels entgegenzutreten.

            Kritik nicht hörbar, nicht sichtbar werden lassen, kann auch als „unter-den-Teppich-kehren“ verstanden werden, selbst wenn die Absicht positiv gemeint war . Die Mehrheit geht gewöhnlich dem Unangenehmen aus dem Weg und schließt vor dem moralischen „Dreck“ die Augen. Sie will die hässliche Fratze Israels, die stiehlt, demütigt, lügt und mordet, nicht sehen, sie darf nicht sein. Wird sie aber nicht rechtzeitig wahr- und abgenommen, läuft das schöne Antlitz dahinter Gefahr, vernichtet zu werden. Hier liegt die Existenzgefährdung Israels. Darum ist es gut, wenn „jemand aus der Reihe tanzt.“  Wie denn auch Tucholsky meinte, Tanzt, ich sage euch tanzt, und  vor allem aus der Reihe  - zumindest, wenn sie ethische Normen missachtet, möchte man hinzufügen.

 

 

 

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