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Nachruf
Felicia
Langer
„Israel
trauert um Scharon“ berichten die Medien in Deutschland. Lobende
Worte über Scharon von Angela Merkel, Schimon Peres und
U.N.-Generalsekretär Ban Ki Moon, klingen für mich wie von einem
anderen Planeten…
Ist das
der Scharon, den ich erlebt habe? In einem Leserkommentar zum
Leitartikel über Scharon in Ha’aretz (online, 12.1.2014) kann man
Wut erkennen, kurz und lapidar: „Kriegsverbrecher. In einer besseren
Welt hätte er sein Leben im Gefängnis beendet.“
Ich kehre
zurück für eine Weile zu der Vergangenheit, wie ich sie erlebt und
geschildert habe. —————
(F.L.:
„Zorn und Hoffnung“) Am 4. Juni 1982, 16 Jahre nach dem sogenannten
„Sechs-Tage-Krieg“, der doch der längste in der Geschichte Israels
war, bekamen die Heere wieder ihren Marschbefehl. Die
Libanon-Invasion hatte begonnen. Verteidigungsminister Ariel Scharon
erklärt, dass er den Krieg von Beginn seines Amtsantritts
vorbereitet habe.
Man hat
ihm die heuchlerisch-zynische Bezeichnung gegeben: „Frieden für
Galiläa“, eine Sprachverdrehung, wie in Ozeanien, dem monströsen,
von George Orwell beschriebenen Staat, dessen Bürger glauben
sollten, dass Krieg der Frieden sei.
Es war ein
blutiger Krieg mit Zigtausenden von Opfern – Israelis,
Palästinensern und Libanesen. Libanesische Städte und Dörfer wurden
zerstört, Flüchtlingslager dem Erdboden gleichgemacht, Tausende von
Männern wurden ihren Familien entrissen, gedemütigt, gefoltert und
in das Konzentrationslager „Ansar“, das später auch als Modell für
die Lager in den besetzten Gebieten diente, eingesperrt.
Dieser
Krieg wurde charakterisiert durch die barbarische Bombardierung der
Zivilbevölkerung, den Einsatz von Streubomben und Phosphorbomben
gegen die Zivilbevölkerung, und das Abschneiden Beiruts von der
Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser, aber auch durch
Heldentaten von Palästinensern und Libanesen.
Der „Krieg
der Täuschung“, wie er später genannt wurde, forderte viele
israelische Opfer, unsinnige Opfer. Und so wie ich Zefira Jonatan
nicht vergessen werde, die die politische und militärische Führung
für den Tod ihres Sohnes im Jom-Kippur-Krieg verantwortlich machte,
so werde ich auch Jakob Gutermann mit dem Schild „Ihr habt meinen
Sohn ermordet“ nicht vergessen, auch Relja Harnik nicht, deren Sohn
beim Kampf um Beaufort fiel, oder die Mutter des getöteten Nadav
Kovez vom Kibbuz Ylftach, die sagte: „Ich wünsche mir, mein Sohn
wäre der letzte“.
Zum ersten
Mal in der verfluchten Kriegsgeschichte Israels brach der heilige
Konsens zusammen und Hunderttausende wandten sich gegen den Krieg –
noch während seines Verlaufs und bis zu seinem letzten Tag.
Nach den
Massakern in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila haben sich
Scharon und Eitan mit ihren Lügen gewunden, den Einmarsch in
West-Beirut zu begründen. Offen wurde die Wahrheit nicht
ausgesprochen. Aber sie schrie aus jedem zerstörten Haus, aus jeder
bombardierten Flüchtlingshütte, aus dem Ruinen von Ein El-Hilwe und
Raschidiye: Die Palästinenser haben keinen Platz im Libanon und in
Beirut schon gar nicht. Wieder fiel das furchtbare Wort:
„Säuberung“. „Die Schädlinge“ lebten noch und atmeten, ohne zu
wissen, was sie noch erwartete. Aber ihr Schicksal war in dem Moment
beschlossene Sache, in dem die israelischen Streitkräfte in
West-Beirut eingerückt waren.
Was in den
drei darauffolgenden Tagen geschah, wurde mit Abermillionen Worten
beschrieben und Tausenden von Bildern gezeigt, die jeden Menschen
mit Gewissen in Israel und auf der ganzen Welt erschüttert haben.
Ganze Familien wurden im Schlaf massakriert, Kinder wurden neben
ihren Eltern umgebracht. Bäuche wurden kreuzförmig geschlitzt,
Handgranaten wurden an Leichen angeheftet, um die Verletzungen bei
der Bergungsarbeit zu vermehren. Ein Bulldozer, der zur Vollendung
der Zerstörung eingesetzt wurde, diente zum Einplanieren der Leichen
der Ermordeten. Wie bekannt muß dies einem Menschen vorkommen, der
die Schoa, den Holocaust überlebt hat.
Das Maß
des Bösen, das ein Blutmaß war, war zum Überlaufen voll. Das Land
bebte, und es erscholl der Ruf, die Verantwortlichen ihrer Ämter zu
entheben und die Schuldigen vor Gericht zu stellen. Hunderte von
Wissenschaftlern, Künstlern, Intellektuellen, Knessetabgeordneten,
Theologen, Professoren, Juristen, die Rechtsanwaltskammer, viele
Journalisten und Zigtausend Menschen aus allen Bevölkerungsschichten
protestierten gegen das fürchterliche Massaker und forderten den
Rücktritt von Scharon und der gesamten Regierung. Die Demokratische
Front für Frieden und Gleichheit in der Knesset, die Gewerkschaft
Histadrut und andere wiesen auf die Verbindung zwischen dem Massaker
und dem von Anbeginn und in allen Phasen verbrecherischen Krieg hin
sowie auf die Okkupation und die Unterdrückung in den besetzten
Gebieten.
Der
Militärberichterstatter der „Ha’aretz“, Zeev Schif, schrieb: „Es war
kein spontaner Vergeltungsakt wegen des Mordes an Baschir Gemayel,
sondern eine Operation, die von vornherein geplant war und deren
Ziel es war, bei den Palästinensern eine Massenflucht aus Beirut und
aus dem Libanon auszulösen.“
Das war
eine Woche, in der man auf die Straße gegangen ist. Und auch die
schöne Stunde der Menschen, die gegen das Unrecht sind, erlebten wir
in Israel: Am 25. September 1982 zogen das erste Mal in seiner
Geschichte vierhunderttausend Menschen mit der Forderung mach einem
Untersuchungsausschuß auf die Straße. Und sehr lange ertönte auf dem
Platz „Kikar Malehei Yisrael“ (Könige Israels) in Tel Aviv die
Stimme des anderen Israel, mit einer Heftigkeit und
Entschlossenheit, wie sie nie zuvor zu hören war. Auch ich stand
dort mit meinen Familienangehörigen und war stolz. Das war eines der
seltenen Ereignisse, bei denen das Volk sagte: „Schluß“ – und die
Verbrecher bleiben nicht ewig unbestraft.
Der
beispiellose Druck der öffentlichen Meinung erzwang schließlich die
Berufung eines staatlichen Untersuchungsausschusses. Dessen
Sitzungen waren von großer Spannung begleitet, während viele
Menschen mit ihren Protesten und Demonstrationen fortfuhren. Die
Zahl derer, die sich weigerten, im Libanon Dienst zu tun, wuchs
weiter an. Einige prognostizierten einen politischen Erdrutsch, vor
allem als die Aussagen, die in der Presse bekannt wurden, auf die
tatsächliche Verantwortung der Politiker und der Militärs für das
Massaker hinwiesen. Manche prophezeiten das politische Ende Begins
und Scharons.
Der
Ausschuss zog seine Schlüsse, gab seine Empfehlungen, aber die
Prophezeihungen erwiesen sich als falsch. Der politische Seismograph
in Israel registrierte keine Erschütterungen, damals nicht und auch
nicht im weiteren Verlauf. Trotz der furchtbaren Enthüllungen
genießen alle Akteure dieser Zeit weiterhin Respekt und Anerkennung.
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Ja, der
Ariel Scharon hat noch mehr gemordet, aber das oben Geschriebene
genügt, um festzustellen, dass ein Kriegsverbrecher gestorben ist,
ohne bestraft worden zu sein. Und alle falschen und verlogenen
Lobergüsse für ihn sind nicht mehr als Orwellsche Sprachverdrehung.