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Brief von Renate Khurdok an den Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff

 

Salem, 16.12.06

 

Sehr geehrter Herr Schockenhoff,

 

sehr interessiert habe ich gestern Ihren Vortrag in  Markdorf verfolgt und dabei viel gelernt über das Verhältnis Deutschlands zur EU, zur Türkei, zu Russland, den Balkanländern und zu China .

Dass Sie dann aber vom ehemaligen Feindbild des Kommunismus gleich zum neuen Feindbild des Islamismus gesprungen sind, fand ich erschreckend. Erschreckend auch, dass Sie die BRD als „Sieger“ des Kalten Krieges bezeichnet haben. Jeder Krieg, ob kalt oder heiss, hat nur Verlierer und von Feinden und Kriegen zu sprechen ist sicher kein Beitrag zum friedvollen Zusammenleben zwischen den Kulturen und Religionen.

Sehr einseitig haben Sie den „islamistischen Nahen Osten“ als Gefahr für den christlichen und „zivilisierten“ Westen eingestuft, wobei Sie nicht unterscheiden zwischen den islamischen Ländern mit den vielen achtbaren Gläubigen des Islam und den radikalen „Islamisten“ die den Koran nach Ihren Zielen der Macht auslegen. Auch christliche Fundamentalisten legen die Bibel nach ihren Machtansprüchen aus und führen in Gottes Namen Kriege und sie machen mir mit ihrer Vorstellung der Apokalypse mehr Angst als die islamischen Fundamentalisten. Die Aufklärung, die mit viel Gewalt und blutigen Kämpfen stattfand, hat uns Christen offenbar weder klüger noch besser gemacht .

 

Mit keinem Wort haben Sie die immer grausamer werdende , bald 40 Jahre andauernde israelische Besatzung in Palästina erwähnt. Nahost - Experten sprechen von diesem Dauerbrennpunkt  auch als Knaxpunkt zu einem Frieden in der gesamten Region und in der Welt.   

Die Welt wird solange nicht sicher sein, wie sie für die Palästinenser nicht sicher ist.
                                                                                                                   
(Avraham Burg)

Mit keinem Wort haben Sie das unendliche Leid der Palästinenser erwähnt., die vom israelischen Militär immer weiter zurückgedrängt und eingesperrt werden in bantustan ähnliche Enklaven, unbeachtet von der westlichen Welt und ungeachtet der ehemaligen Teilung durch die U.N. (52% für Israel, 48% für Palästina) Inzwischen sind den Palästinensern nur noch 22% verblieben, nach Vollendung der Mauer noch weniger. 80% der Menschen in Gaza leben in menschenunwürdigen Zuständen unterhalb der Armutsgrenze, abgeschnitten von Ihrem Land und von der Welt. Nicht ein Tsunami, sondern allein die israelische Besatzung hat diese Katastrophe zu verantworten. Die UNWRA kommt nicht nach mit der Sendung von Hilfsgütern und Unterbringung von Flüchtlingen, nicht vom Jahre 1948, sondern vom Jahr 2006 (!), so schnell zerstört das israelische Militär Häuser, Grundstücke, Versorgungsanlagen und Landschaften.. Anfang Dezember 06 wurden wieder 17 Häuser von Beduinen in der Negev-Wüste (Tawil, nördlich v. Be`er Sheva ) zerstört. Weitere 40.000 Wohneinheiten sollen noch folgen.

Dass Sie dabei immer noch vom Verteidigungsrecht des israelischen Staates sprechen, selbst dann, wenn es um die undemokratischen Hinrichtungen von unliebsamen Parteiangehörigen  ohne Gerichtsverhandlung geht , bei denen  immer mehr als ein Drittel Zivilisten umkommen, ist beschämend für einen deutschen Demokraten. Und während Sie von der Existenzbedrohung des Staates Israel sprechen, was völlig unrealistisch ist bei dem heutigen Stand der Bewaffnung , kämpfen die Menschen in Palästina ums physische und psychische Überleben, eben um ihre  Existenz, vergessen von oder auch durch Mitwirkung der Weltgemeinschaft .

Ilan Pappe, israel. Wissenschaftler für Geschichte und Politik an der Uni Haifa spricht von einem schleichenden Genozid im Schutz der Weltgemeinschaft und hofft im „Namen des Holocoustgedenkens, dass die Welt nicht zulässt, dass der Genozid in Gaza weitergeht“.

Unzulänglich haben Sie die U.N. genannt.

Und tatsächlich, immer wieder werden die Resolutionen gegen diese mörderische Politik der israelischen Regierung abgeblockt von den U.S.A. und Israel selbst und handlungsunfähig gemacht, wie z.B. bei der Untersuchung des Massakers in Jenin (2003). 

Erst letzte Woche wurde einer U.N. Kommission, die unter Führung des südafrikanischen Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu den Tod von 19 Zivilisten in Beit Hanun untersuchen wollte, die Einreise verweigert. Ausführlich jedoch berichten Sie von den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen der Fatah und Hamas und von dem Attentat auf einen Hamasführer, bei dem 3 Mädchen umgekommen sind.

   ( Übrigens kam die Nachricht von beiden Geschehnissen am selben Tag. Im Südkurier      wurde auch von beiden Ereignissen berichtet, von Desmond Tutu sogar mit einem Foto)

Lesen Sie auch eher das, was Sie für Ihre politischen Ziele brauchen? 

Die recht eindeutige Visa-Politik wird natürlich auch von unserer Regierung.unterstützt. So hat man der Bürgermeisterin von Ramallah, die vor einigen Wochen nach Berlin zu einer Friedenskonferenz wollte, die Einreise verweigert. Auch ich musste kürzlich eine Absage eines Visum-Antrages eines Familienzugehörigen durch die deutsche Botschaft in Tel Aviv hinnehmen.  Angaben  von Gründen werden nicht erteilt.

Auch wenn Sie sich zur Spitze der kulturellen Evolution zählen und im Vergleich zu den Türken doch die literarische Nähe zu Russland betonen, sollten Sie sich in einer Zeit der globalen Öffnung doch wenigstens für die Kultur der islamischen Länder interessieren.

Daniel Barenboim hat sich den Dichtern und Denkern der arabischen Welt nicht entzogen und das West-Eastern-Divan Orchestra zusammen mit seinem Freund, dem Palästinenser Edward Said gegründet . Auch möchte ich aufmerksam machen auf die grosse Orientalistin Annemarie Schimmel, die sich wirklich Mühe gab, dem christlichen Westen die orientalische Kultur näherzubringen.  

Gertrude Bell  schliesslich, die emanzipierte Engländerin (18681926)  hat damals eine kulturelle und politische Verständigung zwischen Orient und Okzident herbeigeführt. Sie hat sich mit Interesse, Zuneigung und Achtung der arabischen Kultur und den Menschen zugewandt. König Faisal I hat sie so verehrt, dass er sie mit sozialen und politischen Einrichtungen beauftragt hat, wie Schulen für Frauen, Krankenhäuser, jurist. Lehrgänge an Unis usw.

Eines ist jedenfalls sicher: mit Waffen und Gewalt und Krieg wird es auch heute weder eine Verständigung noch positive Veränderung geben und schon gar nicht auf die Art und Weise , mit der die U.S.A. mit Hilfe Israels (oder umgekehrt?) den Nahen Osten nach ihrem Bilde gestalten wollen.

Wie man jetzt schon sieht, das Ergebnis ist Chaos und Unfrieden.

 Und wenn Sie das nächste Mal in Israel sind , bleiben Sie doch nicht im Yad Vashem stecken!

Das Verharren in der Vergangenheit hat keine Zukunft. Gehen Sie ein paar Schritte weiter und sprechen Sie mit den Menschen.,  mit den Israelis in Westjerusalem , die meist nichts von dem wissen , oder wissen wollen, was ein paar Kilometer von ihnen entfernt Menschenver-

achtendes passiert . Sprechen Sie mit den Arabern, die nicht mehr an eine Lösung glauben, weder durch Gewalt noch durch Verhandlungen, die resigniert, ausgelaugt und unendlich mü- de sind und die es trotz der Entrechtung und Bewegungsbehinderung fertigbringen, seit fast 2 Jahren jeden Freitag in Bi`lin zusammen mit internationalen Friedensaktivisten friedlich

gegen die Mauer zu demonstrieren, die sie weiter von ihren Familien trennt, vom sozialen Leben und den Zugang zur Arbeit, zu Schulen , Uni und Krankenhäusern versperrt.  Spätestens dann, wenn Sie vor diesem völkerrechtswidrigen Monstrum stehen, sollten Sie Ihr demokratisches Wertebild überdenken und nochmal den Artikel 1 zu den Menschenrechten lesen, die in unserer Verfassung verankert ist:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.......

Sie sollten doch auch den neuen checkpoint vor Ramallah anschauen und die Mauer, die schwungvoll die Stadt umklammmert und die keinen Palästinenser unkontrolliert (und meist auch nicht unschikaniert ) durchlässt.

Vielleicht möchten Sie dann auch Bethlehem besuchen.. Sie und auch die jüdischen Siedler dürfen die gut ausgebauten Strassen benutzen. Schnell und zügig werden Sie Ihr Ziel erreichen. Nicht so die Palästinenser . Die müssen auf ihrem eigenen Land(!) stundenlange Umwege auf schlechten Strassen fahren und müssen damit rechnen, dass sie am nächsten checkpoint zurückgeschickt werden, ohne Angabe von Gründen , versteht sich. Für eine Strecke von ca. 20 km muss oft ein halber Tag Fahrt eingerechnet werden, je nachdem wie die Soldaten „drauf sind“. Man kann ruhig das Wort „open-air Gefängnis“ benutzen und Experten sprechen schon lange von apartheidähnlichen Zuständen.

Dass Menschen an den checkpoints sterben und viele Frauen ihre Babys in einem Erdloch hinter den Soldaten zur Welt gebracht haben, weil diese gerade keine Lust hatten , sie rechtzeitig zum Krankenhaus durchzulassen, das wissen Sie doch?!

Spätestens hier sollten Sie Ihr christliches Wertebild neu überdenken .

Christus, dessen Geburt wir in den nächsten Tagen wieder feiern, würde sich  heute ganz sicher zu den Palästinensern begeben, den „Mühseligen und Beladenen“ und würde die Menschen  trösten und stärken, gleich ob sie Christen oder Moslems sind.

Zum Schluss dann sollten Sie noch das Bethlehem Centre von Mitri Raheb und das Caritas Baby Hospital besuchen  und sehen, wie Christen und Moslems zusammenhalten und diese Not und Pein gemeinsam zu lindern versuchen. Unter schwersten Lebensbedingungen kämpfen Mütter um das Leben ihrer Kinder in der bangen Hoffnung, dass diese Kinder eines Tages ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Würde führen können.

So manche deutsche Familien könnten sich von diesem Wertedenken eine Scheibe abschneiden

Wir hier sollten alle wachsam sein und verhindern,  dass in unserer „zivilisierten „ Gesellschaft nicht ein ganz neuer Terrorismus entsteht: soziale Verwahrlosung, Kindsmisshandlungen, Kindstötungen, sinnlose Gewalt unter Jugendlichen, Amokakte.

 

Geben Sie diesen Brief gerne auch weiter an Kollegen oder auch an Ihre Chefin Angela Merkel und korrigieren Sie mich bitte auch, wenn ich in Ihrem Vortrag etwas falsch verstanden haben sollte.

 

Ich wünsche Ihnen besinnliche und auch frohe Weihnachtstage.

Mit freundlichem Gruss

Renate Khurdok

 

 Salem, 19.12.06         

 
 

 

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