Beim Sprudel
zählt der Druck
In Millionen Haushalten
steht ein Gerät, das Leitungswasser zum
Prickeln bringt. Oft wird es hergestellt in
einer jüdischen Siedlung im Westjordanland.
Die EU bringt der Import in ein Dilemma,
weil sie zwar mit Israel befreundet ist,
aber dessen Besatzungspolitik missbilligt
Von Julia Amalia Heyer
und Nicolas Richter
Süddeutsche Zeitung - Nr.157, Samstag, den
11. Juli 2009 , Seite 3
Jerusalem - Welchen Druck
so eine kleine Plastikflasche doch aushält.
Sie wird bis zum Hals mit Wasser gefüllt,
dann fest in ein Gerät eingeschraubt, sie
ist dem ausgeliefert, was nun unweigerlich
folgt: Über ihr öffnet sich ein Ventil, und
aus einem Metallzylinder entweicht das Gas,
es schießt in die Flasche, schneidet das
Wasser, breitet sich zischend und blubbernd
aus, bis die Druckluft fauchend über das
Gewinde entweicht. Jemand löst die Flasche
aus der Maschine, trinkt das kribbelnde
Wasser, während die Flasche ob dieser
Strapazen ein weiteres Mal gealtert ist.
Alle paar Jahre soll man sie austauschen,
damit die Wucht aus dem Gaszylinder sie
nicht irgendwann zerfetzt.
In Millionen Küchen steht
dieses Gerät der Firma Soda Club, es hat
seine Käufer von der lästigen Gewohnheit
befreit, samstags kistenweise
Sprudelflaschen vom Getränkemarkt nach Hause
zu schleppen. Kaum jemand weiß, dass die
Geschichte dessen, was Soda Club "prickelnde
Erfrischung" nennt, in der Wüste beginnt,
hinter Ost-Jerusalem, zwischen steinigen
Hügeln, Sand und Felsen. Hier ist es selbst
für dürres Gebüsch zu trocken.
In der Wüste
gibt es Arbeit,
weil die
Europäer keine
Lust zum
Schleppen haben
Leicht fällt die Straße
in vier breiten Spuren ab in Richtung Totes
Meer. "Siedlerstraße" wird die Road Number 1
genannt. Man sieht palästinensische Dörfer
mit schwarzen Wassertanks auf den
Flachdächern, aber die Palästinenser dürfen
sich hier nicht frei bewegen, obwohl dies
ihr Land ist. Nach rechts knickt die Straße
ab nach Ma"ale Adumim, eine jüdische
Siedlung in dem von Israel 1967 besetzten
Territorium. Mächtige Wohnblöcke aus hellem
Jerusalem-Stein thronen auf dem Hügelkamm,
hier liegt auch das Industriegebiet Mishor
Adumim: Fertigungshallen inmitten riesiger
Parkplätze; ab und zu rollt ein
Armeefahrzeug in Tarngrün über die
menschenleeren Straßen. Hinter einem
Schrottplatz wölbt sich das Fabrikdach der
Soda Club Ltd.
Es sind Siedlungen wie
diese, die jetzt im Mittelpunkt des ewigen
Nahost-Konflikts stehen. Obwohl es
US-Präsident Barack Obama verlangt, weigert
sich die neue, rechtsnationale israelische
Regierung Benjamin Netanjahus, den Ausbau
der Siedlungen zu stoppen. Am Montag in
Jerusalem mahnte der deutsche Außenminister
Frank-Walter Steinmeier seinen Kollegen
Avigdor Lieberman, mit dem Siedlungsbau
aufzuhören. Doch von Lieberman kann er kein
Zugeständnis erwarten, denn der ist stolz
darauf, selbst in einer Siedlung zu wohnen.
Wie aber sollen die Palästinenser über
Frieden reden, wenn Israel ihnen ihr Land
Stück für Stück wegnimmt?
Die Verästelungen dieses
Konflikts veranschaulichen die kleinen
Plastikflaschen von Soda Club wie ein
Brennglas. Offiziell verweist die Firma nur
auf zahlreiche Produktionsstätten weltweit,
der Marketing-Chef des Unternehmens, Asaf
Snear, sagt immerhin, in Mishor Adumim liege
die "Hauptfabrik". Insgesamt beschäftige das
Unternehmen 800 bis 1000 Mitarbeiter, bis zu
300 von ihnen in dieser Siedlung, wo der
karge Boden nicht mehr hergibt, als darauf
Werkshallen zu bauen, in denen für den
Export produziert wird. Eigentlich ein Segen
der Globalisierung: In der Wüste finden die
einen Arbeit, weil die anderen in Europa
nicht zum Getränkemarkt fahren wollen. "Wir
liefern in 32 Länder", sagt Snear am
Telefon, er hat keine Zeit für ein Treffen,
er reist viel herum in der Welt.
Das Dilemma der Europäer
besteht darin, dass sie Israel einerseits
als Freund und Partner sehen, dass sie mit
dem Land gern im Geschäft sind. Die Israelis
verkaufen viel in den Norden, und aus Europa
kommt noch mehr zurück. Andererseits
missfällt es europäischen Regierungen, dass
sie Sprudelflaschen, Datteln, Teppiche und
Weine importieren, die Israels Unternehmer
auf einem Land erzeugen, das ihnen nicht
gehört. Und dass die Verbraucher so - meist
unbewusst - ein Besatzungssystem
unterstützen, für das Netanjahu und dessen
Vorgänger stets folgenlos gerügt wurden.
Die Europäer wollten sich
mit einem Kniff aus dieser Verlegenheit
lösen: Nur was aus dem "Gebiet des Staates
Israel" stammt, so sieht es ein Abkommen aus
dem Jahr 2000 vor, darf der jüdische Staat
zollfrei nach Europa exportieren. Doch schon
bald gab es Streit, denn in Europa landete
etliches aus benachbarten Gebieten:
Soda-Club-Geräte, Schnittblumen und
Badesalze aus dem Westjordanland zum
Beispiel, oder Wein von den Golan-Höhen. Der
israelische Zoll deklarierte all das als
Ware aus Israel, denn die Regierung in
Jerusalem zählt die Siedlungen zu ihrem
Territorium.
Doch in Europa regte sich
Widerstand. In den Parlamenten erkundigten
sich überwiegend linke und grüne
Abgeordnete, denen das Schicksal der
Palästinenser am Herzen liegt, was die
Regierungen gegen den Schwindel zu tun
gedächten. Die EU-Kommission stellte klar,
dass als Staat Israel nur das gelte, was in
den Grenzen von 1967 liegt. So haben es die
Vereinten Nationen festgelegt; und es
schließt das Westjordanland sowie
Ost-Jerusalem ebenso aus wie den
Gaza-Streifen und die Golan-Höhen.
Die Zollbehörden in
Europa griffen durch, auch die deutschen. Am
Hamburger Hafen liefen 2003 Sprudelgeräte
und Sirup von Soda Club ein, und die Zöllner
erkundigten sich bei den israelischen
Kollegen, ob der Ursprung tatsächlich, wie
bescheinigt, Israel sei. Die Israelis
antworteten, die Waren stammten aus einem
Gebiet, "für das der israelische Zoll
zuständig ist". Auf eine zweite Nachfrage,
ob die Waren denn aus Siedlungen stammten,
gab es keine Antwort. Da verfügte das
Hamburger Zollamt, die Sprudelware müsse
verzollt werden.
Die Israelis blieben
unkooperativ, was einen Handelskonflikt
auslöste. Die EU drohte ihren Importeuren
sogar, dass sie Zölle pauschal im Voraus
zahlen müssten, bis die Herkunft ihrer
Einkäufe feststehe. Das wiederum empörte die
Siedler: Europa falle um 50 Jahre zurück,
gifteten sie, in eine Zeit, "als europäische
Führer jüdische Produkte boykottierten". Die
israelische Regierung aber musste einlenken,
denn das Land setzt Waren im Wert von mehr
als sieben Milliarden Euro pro Jahr in die
EU ab, nur ein Bruchteil kommt aus illegal
besetztem Land. Schließlich versprach
Jerusalem, von 2005 an genau mitzuteilen,
aus welchem Ort mit welcher Postleitzahl ein
jedes Erzeugnis stammt - was manche
Siedlerbetriebe umgingen, indem sie
Briefkastenfirmen im Kernland einrichteten.
Die Soda-Club-Zentrale in
Tel Aviv erklärt dazu nur, dass ihre
deutsche Tochter alle fälligen Gebühren
bezahle. Ansonsten: "Soda Club ist ein
nicht-politisches Unternehmen und wird die
politische Diskussion anderen überlassen."
Die Firma gibt sich frisch und unbeschwert,
in ihrer Werbung zeigt sie Luftblasen,
Gänseblümchen und lustige Kinder am
Küchentisch, und was dazu natürlich am
wenigsten passt, ist der Nahostkonflikt mit
seiner Mauer und Straßensperren in der
Wüste.
Wenn es um den Lohn geht,
zählt ein anderes Recht
Umstritten sind die
Siedlungsbetriebe allerdings nicht nur wegen
ihrer Lage, sondern auch wegen ihrer Art,
die palästinensischen Arbeiter aus dem
Westjordanland zu behandeln. Salwa Alenat
erzählt von Hungerlöhnen, demütigenden
Sicherheitskontrollen, und dass gefeuert
wird, wer sich beschwert. Sie sitzt in der
Lobby des American Colony Hotels in
Ost-Jerusalem, im Innenhof plätschert ein
Springbrunnen, steinerne Spatzen halten ihre
Schnäbel in die Fontäne. Alenat rückt ihr
grau-geblümtes Kopftuch zurecht und sagt
zwinkernd: "Palästina kann so schön sein."
Hier im Hotel, ja, aber ein paar Kilometer
weiter schon nicht mehr.
Salwa Alenat, 29, ist
Palästinenserin mit israelischem Pass, sie
hat an der Hebräischen Universität in
Jerusalem studiert und kämpft jetzt mit der
israelischen Organisation Kav la Oved
("Hotline") für die Arbeiter im
Westjordanland. Sie will den Dattelpflückern
im Jordantal zu Unfallversicherungen
verhelfen, den Textilarbeitern in der
Siedlung Barkan zu Schutzanzügen gegen
Chemikalien. In Mishor Adumim, sagt sie,
litten die Arbeiter vor allem unter der
Hitze; die meisten Hallen seien nicht
klimatisiert.
Mit Soda Club hat Salwa
Alenat lange gerungen. Noch 2008 seien die
Palästinenser im Werk bei Subunternehmern
angestellt gewesen, die den Arbeitern 2200
Schekel zahlten, 400 Euro, für einen Monat
voller Zwölf-Stunden-Tage. Die Arbeiter
hätten vergeblich protestiert, einige seien
sogar gefeuert worden. Dann aber fand Alenat
Verbündete, und zwar in Europa. Im
schwedischen Radio klagte sie über die
Zustände in Mishor Adumim; daraufhin empfing
sie Soda-Club-Chef Daniel Birnbaum. Das
Gespräch wirkte Wunder: Nicht nur durften
einige entlassene Arbeiter zurückkehren, sie
erhalten neuerdings auch den israelischen
Mindestlohn von 3850 Schekel - beinahe eine
Verdoppelung ihres Gehalts. Kav la Oved hat
auch durchgesetzt, dass jüdische und
palästinensische Mitarbeiter in einer
gemeinsamen Kantine essen. Früher, sagt
Alenat, hätten die Arbeiter je nach Herkunft
getrennt gearbeitet und auch die
Mittagspause nie gemeinsam verbracht.
"Immerhin", fügt sie bescheiden hinzu, "ist
es ein bisschen besser geworden."
Etliche Arbeiter im
Westjordanland aber bleiben jeder Willkür
ausgeliefert. Während Israels Regierung nach
außen darauf beharrt, die Siedlungen seien
ihr Gebiet, so galt dort lange nicht das
israelische Arbeitsrecht, sondern noch das
alte jordanische, das nur wenig Schutz bot.
Erst Ende 2007 erklärte der israelische
Gerichtshof diesen Zustand für illegal;
allerdings wirkt der Richterspruch nur
langsam, weil niemand ihn durchsetzt. Die
Siedlungsindustrie nutzt es noch immer aus,
dass viele Palästinenser schlicht keine
andere Wahl haben als hier zu arbeiten. Je
stärker die israelische Regierung das
Kernland abschottet, desto mehr drängen die
Palästinenser im Westjordanland in die Jobs
in den Siedlungen. Gleichzeitig erwürgt das
Siedlungswesen die palästinensische
Wirtschaft, wie die EU-Kommission in dieser
Woche beklagte: Land werde enteignet, die
Straßen für Palästinenser gesperrt, alles
zum Schutz der Siedler. So blieben die
Palästinenser auf die Hilfe europäischer
Steuerzahler angewiesen - oder eben auf
Billigjobs.
Es ist ein Unrecht, von
dem Soda Club zumindest profitiert hat.
Selbst israelische Bürgerrechtler rufen
deswegen dazu auf, Siedlungswaren zu
boykottieren. Prominente
Globalisierungskritiker wie die Kanadierin
Naomi Klein fordern sogar, israelische
Produkte insgesamt zu ächten: Man müsse
Israel so behandeln wie Südafrika zu Zeiten
der Apartheid.
Von den Zöllen einmal
abgesehen, halten sich die Folgen für Soda
Club allerdings in Grenzen. Denn kaum ein
Verbraucher weiß, dass sein
Besprudelungsgerät aus einem besetzten
Gebiet stammt. Das europäische Recht zwingt
Soda Club nicht dazu, die Herkunft aus einer
jüdischen Siedlung auf der Verpackung zu
vermerken, das erfährt allein der Zoll. Die
britische Regierung arbeitet deswegen gerade
an einer Richtlinie für den Handel, wie er
Produkte aus Siedlungen im Westjordanland
für die Kunden sichtbar kennzeichnen könnte.
Im Jerusalemer
Handelsministerium hält man eine
Etikettenpflicht freilich für ein Unding.
Sechs Stockwerke aus Travertin, Marmor und
Jerusalem-Stein nimmt die Behörde ein, das
hohe Atrium ist geschmückt mit einer Menora,
dem siebenarmigen Leuchter, wichtigstes
Symbol des Judentums. Ethy Levy, die
Chefbeauftragte für bilaterale
Handelsabkommen, ist freundlich, aber ernst
- und sehr selbstbewusst. Es komme für sie
nicht in Frage, Produkte als Siedlungsware
zu kennzeichnen. "Dem Verbraucher ist es
doch egal, woher die Datteln kommen, die er
kauft", sagt sie, "es kommt darauf an, dass
sie ihm schmecken." Ob die britischen
Verbraucher auch so denken, oder ob ihnen
der Appetit vergeht, könnte sich mit den
geplanten Etiketten bald erweisen.
Für härtere Sanktionen
gegen Israels Siedlungsindustrie findet sich
in der europäischen Politik kaum ein
Fürsprecher. Israel bleibt ein befreundetes
Land, und Freunde bestraft niemand gerne.
Manche sehen die UN in der Pflicht, andere
relativieren das Unrecht. In
deutsch-israelischen Geschäftskreisen hört
man: "Soda Club in Mishor Adumim
boykottieren zu wollen und gleichzeitig
Geschäfte mit Iran zu machen, wäre
haarsträubend."
Es geht um
kleine Flaschen
und um große
Weltpolitik
Ähnlich ist es im
Bundestag zu Berlin. Der Abgeordnete Joachim
Hörster, CDU, hat im Parlament immer wieder
kritische Fragen gestellt zu den
Siedlungsexporten, und als Chef der
"Parlamentariergruppe für die
arabischsprachigen Staaten" wird er auf
Reisen oft gefragt, ob Europa mit Israel
nicht nachsichtiger umgehe als mit anderen,
deren Politik man nicht billigt. Hörster,
64, antwortet sehr offen. "In der Tat gibt
es zweierlei Maß", sagt er dann, "doch
angesichts unserer Geschichte können wir
Deutschen nicht die Vorreiter sein, wenn es
um Forderungen geht, Sanktionen gegen Israel
zu verhängen." Hörster sagt, die Araber
dankten zumindest für die ehrliche Antwort.
Im Herbst wird der Fall
Soda Club nun auch das EU-Gericht
beschäftigen: Ein deutscher Importeur hat
geklagt, weil er für Sprudelgeräte Zoll
zahlen musste. Die europäischen Richter
werden also zu entscheiden haben, ob
Produkte aus Mishor Adumim zu Unrecht
diskriminiert wurden. In Brüssel ist man
gespannt: Die Entscheidung könnte Folgen
haben für den Umgang mit israelischer
Siedlungsware insgesamt. Auf der kleinen
Flasche aus Plastik lasten dann wieder
einmal Völkerrecht und Weltpolitik. Aber
ihre Erfinder haben sie ja dafür entwickelt,
unter großem Druck nicht zu bersten.
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