Herr Blüm,
Sie sind ein banaler deutscher Politiker, für seine Dummheit ebenso berühmt
wie Anita Ekberg für ihre Oberweite.
Ach ja, das
kenn ich schon. Das stammt vom Herrn Professor Fritz J. Raddatz.
Kein Dummer,
immerhin war er Feuilletonchef der »Zeit«. Und er hat Sie so attackiert, weil
Sie Israel einen »hemmungslosen Vernichtungskrieg« gegen Palästina vorgeworfen
haben.
So gescheit
wie Raddatz bin ich nicht, zumal der ja ein großer Goethekenner ist und Goethe
schon mal am Frankfurter Hauptbahnhof ...
... den es noch
nicht gab damals ...
... geortet
hat. Aber das Thema, um das es hier geht, eignet sich nicht für Intelligenzprüfungen
mit sexistischem Einschlag. Es geht um existenzielle Fragen, und da bin ich
für so intelligente Späßchen nicht zu haben.
Halten
Sie die Wortwahl Ihrer Kritik an Israel wirklich für angemessen? »Vernichtungskrieg«
ist Nazi-Jargon.
Ich streite
mich nicht um Wortwahl, sondern über Tatsachen, welche die Worte zu beschreiben
suchen. Ich lass mich dabei von niemand zum Nazisprecher machen. In Israel/Palästina
findet ein Kampf statt, bei dem offenbar keine Regeln und humanitären Rücksichten
gelten, auch nicht die des Kriegs-Völkerrechts. Auf beiden Seiten herrschen
entfesselte Rachegelüste, und die machen bekanntlich blind. Rechtfertigen
die palästinensischen Terrorattentate das Beschießen von Krankenwagen? Palästinenser
müssen ihre Toten in Löchern vor der Haustüre verscharren, weil man sie nicht
auf den nahen Friedhof lässt. Dann werden von Israel 5000 Olivenbäume in palästinensischem
Gebiet vernichtet. Der Stein vom Kölner Dom auf einem Platz in Bethlehem,
der für Städtepartnerschaft stand, wurde von israelischen Panzern - vorwärts,
rückwärts - zermalmt. Was hat das mit Kampf gegen den Terrorismus zu tun?
Das alles ist blind-wütig - ein anderes Wort fällt mir hierfür nicht ein.
Dieses ist noch
kein Vernichtungskrieg.
Die Israelis
kümmern sich einen Dreck um das, was die UN beschließen. Rückzug ihrer Truppen
- abgelehnt. Eine UN-Untersuchungskommission nach Jenin - kommt nicht infrage.
Keine neuen Siedlungen mehr - seit dieser Abmachung sind Tausende Siedler
hinzugekommen, und das größte Siedlungsprojekt wird ausgerechnet jetzt in
Gang gesetzt. Wie wollen wir da die moralische Autorität der UN zum Beispiel
gegen Saddam Hussein einsetzen? Saddam wird lachen und sagen: Setzt erst mal
die Beschlüsse gegen euren Freund Israel durch.
Ist Ihnen
das Wort Vernichtungskrieg nicht nur rausgerutscht?
Ich habe nach
einem Wort gesucht, das diese blindwütige Rache ausdrückt, mit der Israels
Premier Sharon vorgeht. Nicht alle Israelis billigen diese Politik. Ich beziehe
das Wort ausdrücklich auf ihn. Sharon versteht etwas vom Kriegshandwerk, vom
Frieden offenbar nichts. Sein Marsch auf den Tempelberg war eine folgenschwere
provokative Kraftmeierei. Wenn die deutsche Vergangenheit dazu benutzt wird,
uns jede Kritik zu verbieten, dann wäre die deutsche Schuld mit einer Form
von Denkverbot verbunden. Provokative Kritik ist geboten, sonst kommt man
nie raus aus dem Teufelskreis von Selbstmordattentaten, die ich verabscheue,
und maßloser Vergeltung Israels, bei der ebenfalls der Tod von Kindern in
Kauf genommen wird. Diplomatisches Zureden hilft da nichts. Die Israelis müssen
begreifen: Rache schafft nur Hass, und auf Hass lässt sich keine Sicherheit
aufbauen.
Was konkret
werfen Sie Sharon vor?
Blindwütiges
Zurückschlagen, dessen Sinn ich nicht erkenne. Wenn man Arafat auffordert,
seine Anhänger zur Räson zu bringen, dann kann man ihm nicht zuvor die Fernseh-
und Radiostationen zerstören und den Strom sperren. Das ist Zynismus - so
als wenn ich jemand die Beine zertrümmere und ihn anschließend auffordere:
Laufen Sie aufrecht!
Wenn man Ihren
Argumenten folgt, dann bleibt immer noch das Wort von Ralph Giordano an Sie,
wer wisse, was Vernichtungskrieg für Juden bedeute, der dürfe dieses Wort
gegen sie nicht verwenden.
Es geht um furchtbare
Realitäten, und die sind wichtiger als Etymologie. Es geht um Morde und nicht
um Worte. Ich kann in den Aktionen der israelischen Militärs keinen Abwehrkampf
gegen den Terrorismus sehen - sondern nur Vernichtung. Wenn Kinder getötet
werden, wenn eine Mutter mit ihrem lebensgefährlich erkrankten Kind nicht
in die Klinik darf, dann nenne ich das Vernichtung. Ja, wir Deutschen haben
eine Vergangenheit zu bewältigen. Aber meine Vergangenheitsbewältigung ist
eine Zukunftsbewältigung, in der niemand gequält und ermordet wird.
Daraus
leiten Sie die Verpflichtung ab: Nie mehr schweigen, sondern vernehmbar sprechen?
Ich habe mich
deswegen mit Chiles Diktator Pinochet angelegt und mit Südafrikas Botha. Beide
Gespräche endeten mit dem Satz: »Auschwitz: Ausgerechnet ihr Deutschen kommt
uns mit dem Vorwurf der Verletzung der Menschenrechte.« Ich habe geantwortet:
»Gerade deshalb.«
Wenn Sie
sagen, Sharon betreibt einen Vernichtungskrieg, dann sagen Sie auch, er ist
ein Verbrecher.
Krieg ist keine
Lösung. Aber selbst für den Krieg haben die zivilisierten Staaten Regeln.
Und diese Regeln werden missachtet in der Auseinandersetzung zwischen Israel
und Palästina.
Dann gehörte
Sharon aber vor ein Internationales Tribunal gestellt.
Das führt an
der entscheidenden Frage vorbei: Wie schnell kann das wechselseitige Morden
beendet werden? Es geht jetzt um akute Lebensrettung und nicht um langwierige
juristische Klärungen.
Sie weichen
aus. Wenn Sie sagen, da findet ein Vernichtungsfeldzug statt, dann stellt
sich schon die Frage: Wie geht die internationale Gemeinschaft dagegen vor?
Die schafft
es ja nicht mal, einstimmige Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates durchzusetzen.
Wir müssen daher zunächst mit aller Kraft ein Ende der Gewalt erreichen.
Wird der
Vorwurf des Antisemitismus erhoben, um Kritik an Israel zu verhindern?
Der Vorwurf
des Antisemitismus wird auch als Knüppel benutzt, um jeden Hinweis auf die
Missachtung der Menschenrechte totzumachen.
Wird Ihnen
Antisemitismus vorgeworfen?
Das kann sein,
aber es trifft mich nicht. Ich werde mich immer schützend vor Juden stellen,
die angegriffen werden. Ich rate allen, vorsichtiger mit dem Begriff Antisemitismus
umzugehen. Die Ressentiments, die über Jahrhunderte gewuchert sind, sind leider
nicht total überwunden. Aber unser Land ist kein Land der Antisemiten.
Warum
schweigt Ihre Partei an der Spitze zu diesem Problem?
Sie schweigt
nicht. Aber die Diskussion ist mir zu akademisch. Das reicht, um das eigene
Gewissen zu beruhigen, löst aber nicht den heilsamen Schock aus, der zur Besinnung
der Palästinenser und Israelis führen muss.
Was heißt
Schock?
Kein Hauch Verständnis
für Selbstmordattentate, und die Israelis müssen wissen, dass ihnen für ihre
Rachepolitik die Anhänger ausgehen. Und da Israel auf Freunde angewiesen ist,
zu denen ich mich zähle, muss man ihnen sagen, dass es für ihre Politik bald
nicht die Spur einer Unterstützung gibt. Irgendjemand muss dazwischengehen.
USA, Europa ... Die im Todeskampf stehenden Ringer müssen auseinander gerissen
werden.
Ihre Parteiführung
denkt nicht daran, dazwischenzugehen.
Das Thema taugt
überhaupt nicht für den Wettbewerb: Wer geht energischer dazwischen. Wenn
wir das auf die Ebene bringen, ob Schröder energischer reagiert hat oder Stoiber,
dann hat das Thema schon wieder verloren.
Kann man sagen,
dass hierzulande der Umgang mit dem Holocaust eine teils hysterische, teils
infantile Form der Auseinandersetzung nach sich zieht?
Holocaust
kann mit nichts verglichen werden. Er ist das Superverbrechen der Menschheit.
Wir befinden uns dabei auf einem Feld, das von Irrationalismen überwuchert
ist. Die beseitigen wir nicht, indem wir das Thema verdrängen oder nur noch
in abgehobenen feierlichen Reden behandeln. Die Frage ist: Was tun wir, damit
diese über Jahrhunderte in die Diaspora verstreuten, gequälten, geschundenen
Juden endlich ein Stück Land finden, das ihres ist? Mit dem Herrn Sharon finden
sie es nicht. Jerusalem ist eine Hauptstadt der drei großen monotheistischen
Religionen. Es könnte die Friedenshauptstadt der Welt werden, wenn alle drei
sich daran erinnern, dass alle Menschen Kinder Gottes, also Geschwister sind.
Interview: Hans-Ulrich Jörges,
Hans Peter Schütz