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„The
Gatekeepers. Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes“
von Dror Moreh,
Kiepenheuer&Witsch 2015
Rezension
von Ekkehart Drost
Viele
Leser dieser Rezension werden im April 2013 den preisgekrönten
israelischen Dokumentarfilm „Töte zuerst“ des israelischen
Filmemachers Dror Moreh auf arte bzw. der ARD gesehen haben. Dieser
Film schockierte kurzzeitig die israelische Gesellschaft - ähnlich
wie die Zeugnisse und Dokumente von „Breaking The Silence“. Aber
nach einem kurzen Beben ging die Mehrheit wieder wie gewohnt seinen
Geschäften nach.
Ich selbst
habe den Film im Februar 2013 in Jerusalems Cinémateque gesehen und
anschließend einige der Zuhörer gefragt, ob dieser Film die
israelische Gesellschaft wach rütteln würde. Die Antworten waren
wenig hoffnungsvoll. Trotz der zuvor nie gezeigten Bilder und Videos
wies die Mehrheit der Befragten unmittelbar nach dem Film auf die
„Bedrohung durch die Bombe aus dem Iran“ hin, nur wenige
Nachdenkliche hofften auf die Unterstützung durch das Ausland, um
den Ungerechtigkeiten in Israel/Palästina ein Ende zu setzen.
Dror Moreh
hat die Interviews mit den fünf ehemaligen und einem zur Zeit des
Interviews noch aktiven Schin Bet Generalen aus seinem Film
erweitert. In voller Länge hat er diese in seinem jetzt erschienenen
Buch „The Gatekeepers. Aus dem Inneren des israelischen
Geheimdienstes“ verarbeitet, mit einem eindrucksvollen Vorwort
versehen und mit einem Kapitel abgeschlossen, das er „Was muss
geschehen, damit etwas geschieht?“ überschrieben hat. Natürlich
antworten auf diese Frage alle Interviewpartner unterschiedlich,
nicht zuletzt, weil sie in Zeiten mit unterschiedlichen
Rahmenbedingungen dem Inlandsgeheimdienst vorstanden. Nicht alle
haben eine ausgeprägte Sympathie für die palästinensische Seite –
das wird man von Menschen, die ihr Leben der Sicherheit des Staates
Israel verschrieben haben, auch nicht erwarten können. Der Leser
erschrickt dennoch bei der Schilderung minutiös geplanter Morde zum
Beispiel an Scheich Jassin, dem Kopf der Hamas, oder dem
„Ingenieur“ Jahija Ajasch. Aber einig sind sich alle darin, dass
eine Lösung des Nahost-Konflikts niemals auf militärischem oder
geheimdienstlichem Wege stattfinden kann.
Allein schon
Einleitung und Schluss machen das Buch, das sich in weiten Teilen
wie ein Agententhriller liest, zu einer Lektüre, die viel über
Israels Geschichte aussagt, über die Befindlichkeit der israelischen
Gesellschaft und die „Torheit“ und Kurzsichtigkeit der Politiker,
die „lieber ihren eigenen flüchtigen kleinen parteipolitischen
Vorteil suchen, anstatt eine bessere Strategie für die Zukunft zu
schaffen, und die sich daran anknüpfende Einsicht, wie viele Tausend
Tote, Verletzte und trauernde Familien diese Torheit beide Seiten
gekostet hat.“ (S. 12)
Mit viel
Fingerspitzengefühl brachte der 1961 in Jerusalem geborene Moreh die
Generale zum Reden über Verbrechen, bei denen sie zum überwiegenden
Teil die Verantwortung trugen, selbst die Entscheidung zur
„gezielten Tötung“ und/oder „außergewöhnlichen Verhörmethoden“
trafen – zumeist unter ausdrücklicher Rückendeckung der politischen
Führung. Sie haben vorher nie mit ihrer Familie oder engen Freunden
über ihre Arbeit beim Schin Bet gesprochen, jeder versuchte auf
seine Weise damit umzugehen. Juval Diskin, der letzte, während der
Zeit der Interviews noch im Amt befindliche Chef, schrieb Gedichte,
manche trieben Sport, einer wurde Cellkom-Chef, andere zogen sich
einfach ins Privatleben zurück. Warum sie sich erstmals einem
Außenstehenden offenbarten, darüber konnte Moreh nur Vermutungen
anstellen: „Sie müssen weit vor mir gespürt haben, dass das Fenster
der Gelegenheit, den Konflikt zu lösen, im Begriff ist, sich zu
schließen.“ (S. 11)
An dieser
Stelle soll darauf verzichtet werden, die Namen der Schin Bet Chefs
aufzuzählen. Zwar sind sie in Israel überaus bekannt, nicht aber in
Deutschland. In ihrer Amtszeit fanden Ereignisse von weltpolitischer
Bedeutung statt, wurden Entscheidungen getroffen, die das
Selbstverständnis der militärischen Einheiten wie Armee, Mossad und
Schin Bet erschütterten sowie ihre Akzeptanz in Teilen der
israelischen Gesellschaft als zwielichtig und häufig illegal
entlarvten.
Dror Moreh
schildert die Haltung des Schin Bet beim Junikrieg 1967 und beim
Jom-Kippur-Krieg 1973. Breiten Raum nehmen die „Tage von Oslo“ ein,
ebenso die erste und zweite Intifada, die „Zeit der Abkoppelung“
2005, als die Regierung Scharon die Siedlungen im Gazastreifen und
einige in der Westbank aufgab. Er erläutert, warum Camp David im
Jahr 2000 scheiterte und schildert die Verwirrung des
Inlandsgeheimdienstes über den Umsturz in Gaza 2007 mit dem
vollständigen Sieg der Hamas über die Fatah, den Druck, den vor
allem die USA auf Mahmud Abbas ausübte, um die Zusammenarbeit des
Schin Bet mit dem palästinensischen Geheimdienst zu befördern.
Zwei
innenpolitische Ereignisse sollen hier etwas ausführlicher
dargestellt werden, weil sie in den Interviews verschiedener Schin
Bet Chefs immer wieder auftauchen. Dies ist zum einen die Affäre um
den Bus 300 aus dem Jahr 1984 und zum anderen der Plan einer
jüdischen Brigade, mit 30 hochexplosiven Bomben die Moscheen auf dem
Tempelberg in die Luft zu sprengen.
Bei der
Entführung des Überlandbusses 300 durch Palästinenser, der sich auf
dem Weg nach Aschkelon befand, überlebten zwei der Entführer nach
der Kaperung des Busses durch die Armee. Israelische Journalisten
vor Ort bestätigten dies. Der damalige Schin Bet Chef im Interview:
„Die Armee nahm die Sache in die Hand. Sie erschoss zwei Entführer
und holte zwei weitere offenbar noch lebend aus dem Bus. Dann haben
die Soldaten die beiden Überlebenden zusammengeschlagen. Als wir sie
übernahmen, sahen sie nicht wie auf dem berühmten Foto aus, das vor
der Misshandlung aufgenommen wurde. Man hatte ihnen sämtliche
Knochen gebrochen – ein Akt von Lynchjustiz. (...) Ich gab den
Befehl, sie zu eliminieren. Ich hatte die Erlaubnis des
Premierministers, in solchen Fällen selbst zu entscheiden.“ (S. 45)
Avi Dichter,
Nachfolger des damaligen Chefs: „Später setzte ich durch, dass die
Affäre um den Bus der Linie 300 Thema in unseren Schulungen wurde.
Ich glaube, dass letztendlich alle verstanden, dass ihr Handeln
falsch war. (...) Sicherlich war es das schlimmste Trauma, das der
Schin Bet je erlebt hat. Die Entscheidungsprozesse von der Spitze
abwärts waren gestört.“ (S. 53)
Die spätere
Richterin am Obersten Gericht, Dorit Beinisch, die mit der
Untersuchung der Affäre als Mitarbeiterin des Generalstaatsanwaltes
beauftragt war, sagte im Jahr 2004: „Die verblüffendste Erkenntnis,
zu der uns die Affäre verhalf, bestand darin, dass der
Inlandsgeheimdienst quasi über uneingeschränkte Macht verfügte. Erst
bei der Untersuchung der Vorkommnisse (...) stellten wir fest, dass
sich diese Macht gegen jeden richten konnte, auch gegen die
Judikative und die politische Führung. Wir wurden verleumdet,
bloßgestellt und bedroht, und als wir dem Premierminister die Fakten
erläuterten und hofften, der Sicherheitsdienst könne vom System der
Lüge und Vertuschung gesäubert werden, erklärte uns Peres allen
Ernstes, dass für den Schin Bet andere Gesetze gälten.“ (S. 88)
Der jüdische
Untergrund, fest mit der Siedlerbewegung Gusch Emunim verbunden,
führte seine ersten Aktionen 1968 durch, als Siedler unter dem
Rabbiner Levinger in das Park-Hotel in Hebron einzogen und sich
weigerten, das Hotel wieder zu verlassen. Avraham Schalom erinnert
sich: „Wir beschlossen, sie von der arabischen Bevölkerung
abzuschotten. Dann nahmen sie das Haus Hadassah in Besitz und dann
ein anderes und dann noch eins, und dann sperrten sie die Straße,
und ihre Kinder, jüdische Kinder, begannen, unsere Soldaten als
Nazis zu beschimpfen. Denn die israelischen Soldaten zogen Zäune, um
Juden und Araber voneinander zu trennen.“ (S. 148). Schalom beklagte
sich im Interview über Peres, der aus Schwäche den Siedlern nicht
entgegen trat.
Die
Mitglieder des jüdischen Untergrunds, nach außen respektierte Leute,
zum Teil mit Zugang zum Ministerpräsidenten, planten bereits seit
1977, dem Beginn der Friedensverhandlungen mit Ägypten, ein
Bombenattentat auf den Felsendom. Schin Bet Chef Karmi Gilon: „Es
war der totale Wahnsinn. Sie wollten an einem Freitag, dem Ruhetag
der Moslems, fünf Busse mit Palästinensern in die Luft sprengen und
auf einen Schlag 250 Araber töten. Gedacht als Rache für die
Busattentate in Jerusalem.“ (S. 153) Dem Schin Bet gelang es in
letzter Minute, das Attentat zu verhindern und die Männer
festzunehmen, die in ihrem Sendungsbewusstsein glaubten, für das
jüdische Volk zu handeln. Karmi Gilon: „Wenn jemand eine Rakete auf
den Felsendom oder die Al-Aqsa-Moschee abfeuert, dann weiß ich
nicht, ob das nicht unser Untergang wäre. Ich drücke mich jetzt
absichtlich einfach aus, damit mich jeder versteht: Wenn auf dem
Tempelberg etwas passiert, dann möchte ich kein Jude sein – weder in
Paris noch in Israel.“ (S. 158)
In seinem
Vorwort zitiert Dror Moreh den großen israelischen Philosophen
Jeschajahu Leibowitz: „Dann kam der Sechstagekrieg, und der Staat
Israel verwandelte sich in den Apparat brutaler jüdischer Herrschaft
über ein anderes Volk. Seitdem hat unser Staat keinen anderen Zweck
mehr als die Aufrechterhaltung dieser Herrschaft. Diesem Zweck
werden alle Kräfte gewidmet, die materiellen als auch die
geistigen.“ (S. 17) Jaakov Peri spricht für seine Kollegen, deren
Fazit aus ihrer langjährigen Tätigkeit wie eine Ohrfeige für alle
bisherigen und vor allem für die jetzige Regierung anmutet: „Zur
Lösung führen politische Schritte: Gespräche, Vertrauen,
Anerkennung, Verzicht, Kompromisse.“ (S. 134)
Dror Moreh
zieht seine persönlichen Konsequenzen aus den Interviews mit den
Worten: „Die Arbeit an diesem Buch hat mir wieder einmal vor Augen
geführt, dass Resignation und Verzweiflung keine Option sind und
ganz sicher nicht zu einer Veränderung führen. Wir alle haben die
Pflicht, etwas zu tun, ein jeder auf seine Art. Ich betrachte das
Projekt „The Gatekeepers“ (...) als einen Beitrag zur Erfüllung
dieser meiner Pflicht.“
Ekkehart
Drost, 27.7.2015
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