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Arn Strohmeyer, Antisemitismus
– Philosemitismus und der Palästina-Konflikt.
Hitlers langer verhängnisvoller Schatten.
Rezension von Ekkehart Drost, 19.9.2015
In seinem Beitrag „Dauerbrenner
Antisemitismus“ für das im Oktober 2015 erscheinende Buch über
Reuven Moskovitz´ Lebenserinnerungen („Ein Leben für Gerechtigkeit,
Liebe und Versöhnung“) geht der Bremer Schriftsteller Arn Strohmeyer
der Frage nach, warum Israels Rolle bei der neuen
Antisemitismus-Debatte völlig ausgeblendet wird.
Er zitiert den israelischen Historiker Moshe Zuckermann aus dessen
neuem Buch Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang
betreibt: „Je mehr sich Israel in der Gewaltausübung der
Okkupation verfing, desto intensiver steigerte sich die Betonung,
selbst Opfer zu sein, mithin die Bezeichnung aller Kritik an Israels
Politik als Antisemitismus. Es geht dabei um bewusste ideologische
Manipulation, was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass in der
Manipulation auch eine Schuldabwehr angelegt ist.“
In Strohmeyers drittem Buch über das
Palästina-Problem nach Wer rettet Israel? Ein Staat am Scheideweg
(2012) und Das unheilvolle Dreieck. Deutschland, Israel und die
Palästinenser(2014) geht es nicht lediglich um eine neue,
aktualisierte Aufarbeitung der furchtbaren Verbrechen in der
NS-Epoche. Gleichwohl sei eine Verarbeitung der deutschen Schuld
immer noch nicht gelungen, denn sonst wäre der in Staat,
Gesellschaft und Kirchen dominierende Philosemitismus überflüssig.
„Es ist die Absicht dieses Buches, die Zusammenhänge zwischen
Antisemitismus und Philosemitismus deutlicher aufzuzeigen, zu
belegen, dass sie zwei Seiten derselben Medaille sind – und so den
Blick von einer universalistischen Ethik aus auf Israels inhumane
Politik zu lenken und zu schärfen.“ (S. 15)
Den Anstoß für sein „brisantes
Unterfangen, ein in Bezug auf Israel kritisches Buch über
Antisemitismus bzw. Philosemitismus zu schreiben“ erhielt er von
einem in der New York Times vom 9.3.2015 erschienenen Kommentar mit
dem Titel „The
German Silence on Israel, and Its Cost“
des in Haifa geborenen Philosophen Omri Boehm. Dieser kritisiert
eine Stellungnahme von Jürgen Habermas in der Haaretz aus dem Jahr
2012, in der Habermas sein Schweigen zu israelischen Untaten
gegenüber den Palästinensern damit begründet, es sei nicht Sache
seiner Generation, sich hier einzumischen. Dazu Boehm: „Wenn
aufklärerisches Denken als eine Antwort auf Deutschlands
Vergangenheit einen Sinn haben soll, dann muss es den Mut
aufbringen, diese Angst („Stellung zu beziehen“ E.D.) zu überwinden.
Zu Israels Politik zu schweigen ist der falsche Weg – er ist auch
nicht effektiv, weil er der Geschichte des Holocaust keine
Gerechtigkeit widerfahren lässt.“ (S. 13).
Strohmeyer, der Boehm als „Bruder im
Geiste“ bezeichnet, fügt hinzu: „Schweigen ist eine der schlimmsten
deutschen Untugenden. (...) Die universalistische Moral, die ein
Kind der Aufklärung ist, und deren Abkömmlinge die
Menschenrechtscharta und das Völkerrecht sind, verbietet es, zu
Israels schreienden Kriegsverbrechen zu schweigen.“ (S. 14).
Ganz anders sehen dies immer wieder die
Apologeten der israelischen Politik in Deutschland, die jede
Israel-Kritik als antisemitisch bezeichnen und völlig unzugänglich
sind für wissenschaftliche Studien zu diesem Komplex – zuletzt die
des Konstanzer Soziologen Wilhelm Kempf zusammen mit dem Lübecker
Psychologen und Vorstandsmitglied von Jüdische Stimme für
gerechten Frieden, Rolf Verleger: „Antisemitismus und
Israel-Kritik. Eine methodologische Herausforderung für die
Friedensforschung.“ Die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie
werden von Strohmeyer auf den Seiten 130 ff. herangezogen.
Das beschämende Verhalten der
Repräsentanten der Stadt Bremen anlässlich der Nakba-Ausstellung
2015, zu deren Eröffnung zwar die palästinensische Botschafterin
erschien, nicht aber der Bremer Bürgermeister oder andere
hochrangige Vertreter der Stadt, zeigt exemplarisch die Feigheit,
mindestens aber die falsch verstandene Solidarität, mit der man
meint, Israel begegnen zu müssen.
Das jüngste Beispiel eines Versuches, kritische Stimmen gegenüber
Israels völkerrechtswidrige Politik zu torpedieren, konnte man bei
der Vortragsreise von Lillian Rosengarten erleben. Martin Breidert
als Organisator der Rundreise schrieb in einer abschließenden Email:
„Lillian Rosengarten hat ihre zweiwöchige Vortragsreise ("Als Jüdin
gegen Zionismus"), bei der ich sie begleitete, beendet und ist heute
nach New York zurückgeflogen. Einige habe ich bereits über die
beiden Artikel in der Jerusalem Post informiert, in denen sie massiv
attackiert wurde. Noch übler sind allerdings die angehängten
Kommentare, mehr als 200 zu jedem Artikel! Ein Jude erhob sogar die
Forderung, man solle die Jüdin Lillian Rosengarten in ein KZ
sperren und sie in eine Gaskammer schicken. (Offenbar hat der
Verfasser nicht mitbekommen, dass das Nazi-Reich vor 70 Jahren sein
Ende gefunden hat).“
Das Herzstück dieses wichtigen Buches
stellt das Kapitel dar, in dem Strohmeyer anschaulich und bedrückend
über die Spaltung in diejenigen schreibt, die in Israel die Fahne
der universalistischen Moral hochhalten und in die übergroße
Mehrheit der Partikularisten, denen zu Folge Israel alles darf, was
Israel nützt. Bedrückend deshalb, weil auch Israels Rabbis – mit
Ausnahme der Rabbiner für Menschenrechte – sich keineswegs an
die ethischen Normen halten, die ihnen ihre Religion teilweise
vorschreibt.
Hässliche Aufrufe des Chefrabbiners von Safed, Schmul Eliyahu,
während des Gaza-Krieges 2008/2009, so viele Palästinenser zu töten
wie erforderlich, selbst wenn es eine Million seien, sind ein
Ausdruck dieser Spaltung. Strohmeyer kommentiert: „Geht es um den
Konflikt Israels mit den Palästinensern, wird die ideologische
Spaltung in zwei Strömungen – ethnische Isolation,
israelisch-jüdische Exklusivität oder Abschottung auf der einen und
universalistischer Humanismus auf der anderen Seite – ganz deutlich,
wobei die Grenze nicht zwischen religiös und säkular oder zwischen
Israelis und nicht-israelischen Juden verläuft. Es gibt
Überschneidungen, auch in Israel leben natürlich Universalisten.
Aber diese Spaltung ist dennoch radikal.“ (S. 95).
Wie bereits in seinen vorangegangenen
Büchern lässt Strohmeyer auch hier gewichtige Stimmen aus Israel zu
Wort kommen. Neben den bei uns bekannten Autoren wie Moshe
Zuckermann, Ilan Pappe, Uri Avnery, Avraham Burg, Gideon Levy und
Jeff Halper lernt der Leser auch jüngere Stimmen wie die
amerikanischen Juden Matti Bunzl und Max Blumenthal und die
deutsch-israelische Historikerin Tamar Amar-Dahl kennen, die er im
Kontext Partikularismus versus Universalismus mit den Worten
zitiert: „Der Ausbruch der zweiten Intifada im Oktober 2000 und das
Scheitern des politischen Versuchs, den Konflikt um Palästina zu
klären, steht ein halbes Jahrhundert nach der Staatsgründung für
eine historisch gewachsene, schleichende Entfremdung des
zionistischen Israel von der ´Welt`.“ Wer nicht bereit sei, Israels
partikularistischen Sonderweg der Abkapselung (...) zu gehen und
Israel universalistisch vom Standpunkt des Völkerrechts und der
Menschenrechte aus beurteilt, muss damit rechnen, als „Antisemit“
dazustehen (S. 98f.), eine Bezeichnung, die von Israels Apologeten
inzwischen mit dem absurden Begriff „Neuer Antisemitismus“ tituliert
wird.
„Die Unfähigkeit zu trauern oder: Warum
der Frieden unmöglich ist“: Die Überschrift zu diesem letzten
Kapitel weist bereits darauf hin, dass sich Strohmeyer hier mit
Erkenntnissen der Psychoanalyse, wie sie das Ehepaar Mitscherlich
bereits Ende der 70er Jahre gewonnen haben, auseinandersetzt. Er
schreibt: „Die psychologischen Erkenntnisse, die die Mitscherlichs
auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft anwendeten, haben zudem
israelische Analytiker unabhängig von dem deutschen Vorbild längst
auch auf Israel übertragen. (...) Israels Überleben hängt deswegen
in erster Linie davon ab, ob es sein Verhältnis zu den
Palästinensern klären kann. Was aber bedeutet, den
partikularistischen Weg aufzugeben und den universalistischen zu
gehen.“ (S. 192f.)
Strohmeyers eindrucksvolles Buch endet
mit den eindringlichen Worten: „Einen besseren Weg im Kampf gegen
das Monster des Antisemitismus kann man wohl nicht gehen. Man müsste
es nur wollen.
Gabriele-Schäfer-Verlag 2015
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