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Jahresbrief 2014 -
Sumaya Farhat-Naser
28.8.2014
Liebe Freunde, seit Wochen
will ich schreiben. Doch ich fühle mich wie gelähmt, denn was
soll ich schreiben. Ich schreibe einige Zeilen, dann kann ich
nicht mehr, ich höre auf. Ich suche nach Hoffnungszeichen, ich
brauche Ermutigung und Kraft. Heute ist der erste Tag der
Waffenruhe, ich schreibe meinen Brief an Euch zu ende. Ich weiss
, viele Freunde warten auf eine Meldung von mir.
Der krieg ist erschreckend
brutal, die Zerstörung ist kaum vorstellbar und schwer messbar.
Die Zahl der getöteten überstieg zwei Tausend Menschen und die
Verletzten über 12 000 Menschen, viele von ihnen werden unter
Verletzungen sterben. Die Mehrheit der Toten und verletzten sind
von der Zivilen Bevölkerung, mehr als ein Drittel der Opfer
sind Kinder und Frauen. Die Wasser- und Elektrizitätswerke
wurden zerbombt, sodass die Katastrophe sich vervielfacht.
Die Infrastruktur ist total zerstört, die Versorgung von
Lebensmittel, Medikamente, medizinische Geräte sind sehr
eingeschränkt verfügbar. Den Überlebten droht der Tod durch
fehlende Versorgung an Wasser und medizinische Versorgung. Die
Zahl der Verschwundenen ist schwer zu registrieren, denn unter
den Trümmern sind Hunderte, wohl möglich bereits verwest. Die
ganze Gesellschaft, vor allem die Kinder, sind hoch
traumatisiert. Das sind die Folgen des Krieges.
Endlich beschlossen die
palästinensischen politischen Parteien in Gaza und der Westbank
eine gemeinsame Einheitsregierung zu bilden und die Versöhnung,
die von Israel, USA und manchen europäischen Ländern nicht
gewollt war, fand endlich nach sechs Jahren statt. Israel
beschloss diese Regierung zu unterbinden. Drei israelische
Siedler bei Hebron sind verschwunden und nach drei Wochen
getötet aufgefunden. In diesen drei Wochen waren als Rache 18
Palästinenser getötet worden vom Militär oder den Siedlern. Ein
siebzehnjähriger Palästinenser aus Jerusalem ist auf dem Weg zur
Mosche zum Morgengebet von israelischen Fanatiker gekidnappt,
gefoltert und lebendig verbrannt worden. Aufruhr und
Demonstrationen im Raum Jerusalem und überall brachen aus. Mehr
als 500 Palästinenser sind verhaftet worden, unter ihnen 56
Männer, die kurz davor durch Verhandlungen freigelassen wurden.
Mehrere Häuser darunter zweier Verdächtigten, worin mehr als 20
Personen wohnen, sind vom Militär zerstört worden. Die Bewiese
fehlen und die zwei Männer sind nicht gefasst worden. Hamas hat
eindeutig betont, dass das Verbrechen nicht auf Anordnung von
Hamas geschah. Dennoch Israel beschuldigte Hamas als mögliche
Urheber und beschloss den Krieg auf Gaza. Hamas- und andere
Kämpfer wie Jihad Islami feuerten hunderte von Raketen auf
Israel und versetzte Horror und Schrecken, sodass Tausende
Israelis in Bunker sich versteckten und sie Wochenlang dort
leben musste. Der Krieg begann und die Folgen sind für beide
Seiten erschreckend. Für Israel zwar keine zivile Tote, doch
viele verletzte und fast hundert getötete Soldaten und viele
Verletzte.
Schrecken: Ein Tunnelsystem
unter Gaza und die Reichweite der Raketen ins Herz Israel
schockierte und machte diesen Krieg unerwartet schockierend und
verletzlich für Israel. Nicht damit gerechnet, irritierte die
Kriegsführung.
Täglich versuchten wir
telefonisch und per Internet Menschen in Gaza zu erreichen. Es
kamen selten, doch immer wieder Lebenszeichen. Eine Freundin aus
Gaza,, Wisam, schrieb an Ghada folgende Kurzmeldungen: „ Ich
lebe noch, bin mit meinen drei Kindern ständig auf der Flucht,
mal verstecken wir uns bei meiner Mutter, und dann fallen
Bomben, dann rennen wir weg zu anderen Orten. Es ist Ramadan und
meist fallen die Bomben während wir nach Sonnenuntergang essen
wollen. Meine vier-jährige Tochter sagte: Warum kommen die
Bomben, wenn wir essen, wollen die Israelis nicht, dass wir
essen? Ich sage ihr: Es hat mit Essen nichts zu tun, Krieg ist
gegen das Leben. Gebombt wurde auch gegen 2 Uhr Nachmittag sagte
ich, sie sagte: Gerade da ass ich ein Sandwisch, ich will nicht
mehr essen! Das Nachbarhaus ist zerbombt, alle 11 Bewohner sind
tot. Überall liegen ganze und zerstückelte Leichen verstreut.
Meine Nachbarin sagte: „Gott
sei dank, ich fand die ganze Leiche meines Mannes, die anderen
suchen nach Körperteile“. Eine andere sagt: „Mein Sohn ist
getötete worden, der zweite ist verletzt worden, Gott sei dank,
noch lebt er im Krankenhaus noch.“ Die Leute treffen sich,
wenn etwas Ruhe ist und sie nach essen und zu ihren Häuser wagen
um Kleidung zu holen. Sie grüssen sich: Gott sei Dank, Du lebst
noch, Du bist erhalten geblieben“
In Birzeit und überall in der
Westbank geht der Ruf vom Minarett: „ Unsere Menschen in Gaza
brauchen Wasser, Blut, Kleidung, Bettwäsche, Decken, Kissen, und
Lebensmittel.“ Hunderte Volontäre melden sich und wir sammeln.
Die erklärten Ziele des
dritten Krieges Kriege in sechs Jahren auf Gaza sind nicht
erreicht worden:
1.
Hamas ist nicht
gebrochen, sondern noch stärker geworden. Hamas führte vor
Kampfkraft und Durchhaltvermögen wie auch Kreativität,
Aufrichtigkeit, und Zähheit. Das sind eben die Idole, die
Bewunderung, Schätzung und Unterstützung aller Palästinenser
aufweckte. Ein Volk, das so lange unterdrückt und gedemütigt
wurde und sich ständig schämt wegen der Schwäche und Ohnmacht,
sieht eine eigene Machkraft Imstande, den mächtigen Unterdrücker
Gesicht zu Gesicht im Kampf zu begegnen mutig entschlossen,
niemals aufzuhören ohne die eigenen Forderungen nach Freiheit
und Unabhängigkeit zu garantieren. Hamas und Jihad Islami
haben sich als wichtige und mitbestimmende Partner in jeglicher
Verhandlungen durchgerungen und anerkannt, gerade von den
Staaten, die sie als „Terroristen“ einstuft, so wie es Israel
verlangt.
2.
Im Gegensatz zu
Israel, griffen die Widerstandskämpfer in Gaza, bewusst und
demonstrierend keine zivile Ziele in Israel an. Sondern, nur
militärische Anlagen und Soldaten waren Angriffsziele. Fast
hundert israelische Soldaten sind getötet worden, viele Hunderte
Verletzte, auch einige wenige Zivilisten.
Die Auswirkungen der
Rakatenbeschuss tief ins Land in Israel hat das gelähmt, die
Menschen Wochenlang in Angst und Horror besetzt, sie mussten
wochenlang in Bunker leben, viele Schulen und Arbeit sind
ausgefallen. Zum ersten Mal in der Geschichte Israels musste der
Flughafen teilweise ausserbetrieb gesetzt werden, der
wirtschaftliche Verlust ist sehr hoch, psychische Schäden und
Trauma-Auswirkungen sind sicher enorm.
Israel hat die Kraft und macht
von Gaza Kämpfer und ihre Kapazitäten total falsch eingeschätzt.
3.
Die
Palästinensische Einheitsregierung, die Israel lähmen und
verhindern wollte, hat bei den Verhandlungen ihre Verantwortung
voll eingesetzt und geniesst nun politische Macht und
Hochachtung.
4.
Das
Raketensystem sind einsatzbereit geblieben, das Tunnelsystem
ist noch in Takt, die Entwaffnung und Entmilitarisierung von
Gaza sind nicht erreicht worden.
5.
Ein
Waffenstillstand ist jetzt erreicht worden. Wir atmen aus, denn
das Töten und Zerstören ist erst mal zu ende. Beide Seiten
wollen nun durch Verhandlungen eine Dauerhafte Ruhe auf dem Weg
zum Frieden anzustreben.
6.
Die Blockade auf
Gaza, die seit acht Jahren erhängt war, wir jetzt aufgehoben,
der Transport von Menschen und Waren zwischen Gaza und Westbank
wird möglich sein. Die Fischer können 6 Meilen im Mittelmeer
fischen, statt drei Meilen während der Blockade.
7.
Die
Verhandlungen werden in Ägypten weiter gehen, damit die
Forderungen der Widerstandsführung und der Regierung entsprochen
werden: Bau vom Flughafen und Hafen, die in den Verträgen den
Palästinenser zugesprochen waren, jedoch von Israel zweimal
zerstört worden sind, wieder aufgebaut und in Betrieb genommen
werden sollten. Weitere punkte sind. Wiederaufbau von Gaza,
Ende der Besatzung und Siedlungsbau, und Staat Palästina wie er
bei der UN anerkannt worden ist auf den Grenzen von 1967 und Ost
Jerusalem als Hauptstadt, soll als Realität und Recht anerkannt
werden. Auch wenn das lange dauert, ist es wichtig, dass die
Verhandlungen weitergehen und Israel muss endlich ein sehen,
dass Besatzung und Unterdrückung niemals gut für Israel sein,
niemals Sicherheit und Frieden mit Gewalt zu erreichen wären.
Nur durch gegenseitigen Respekt und Anerkennung der Rechte und
durch Verhandlungen wird das Gute für beide Seiten möglich
sein. Wir leben gemeinsam oder gehen gemeinsam zugrunde. Lasst
uns für das leben sein.
8.
Warum muss erst
ein Krieg mit viel Zerstörung und Tötung kommen, damit als
Folge Rechte und Forderungen zur Freiheit und Unabhängigkeit
endlich erzwungen werden können? Es müsste doch ohne krieg
selbstverständlich sein. Leider musste erst die militärische
Macht bei der Widerstandsbewegung in Gaza ausgebaut werden damit
sie politische Macht erlangt und damit sie anerkannt werden als
Partner in der Politik. Ein Aufruf zur Entwaffnung kann niemals
Geschehen aufgrund der Erfahrung und aus dem Prinzip der
Gleichstellung. Nicht mit Überheblichkeit, Drohungen,
Muskelzeigen oder Verfeindung, sondern nur mit Respekt und
Gleichstellung in der Verantwortung und Rechte kann dauerhaften
Frieden erreicht werden.
Meine Arbeit mit den
Jugendlichen und den Frauen geht weiter. Das ist es, was meine
Kraft erneuert und Freude im Herzen wachsen lässt. Demnächst
schreibe ich über diese Arbeit der Friedenserziehung und der
Empowerment durch Gewaltfreiheit im Denken, Fühlen, Handeln und
Sprechen gegenüber sich selbst und den anderen gegenüber. Ein
schönes Projekt ist im werden: Renovierung eines Gebäudes, eine
alte Ölpresse, in Ein Arik, das zur Sitz der Frauenarbeit und
Dorf-Kulturarbeit fungieren wird. Ein Bericht darüber kommt
später.
Ich danke Euch für Eure Mails,
die ich nicht beantwortet habe, ich konnte einfach vieles nicht
bewältigen. Ich danke herzlich, weil ich weiss, Ihr seid da,
denkt und fühlt mit uns. Ich danke herzlich für Umsorge,
Fürsorge , Unterstützung und Begleitung.
Liebe Grüsse
Sumaya
sumaya@mac.com
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