„Das Land ist meine Seele
und bewahrt unsere Würde“
Muhammed Ibrahim Youssef Hassan Joudeh
(83 )
Eine Stimme aus der
Gemeinde, Palästinensische Grassroots-Anti-Apartheid-Mauer-Kampagne,
10.Juni 2006
In Rafat ( nahe Ramallah) – wie in
ganz Palästina – wird der Geist des Widerstandes gegen die Besatzung
von Generation zu Generation weitergegeben. Das Land, auf dem die
Menschen während all dieser Jahre gelebt und sich abgeplagt haben,
lieferte ihnen das zum Leben Nötige und die Würde, dank derer sie das
Leiden und die Unterdrückung ausgehalten haben. Jetzt aber wird die
Apartheidmauer Rafat und seine Bauern ohne ihr Land lassen. Doch der
tägliche Kampf für Gerechtigkeit und die Befreiung von der Besatzung
geht weiter.
Hier erzählen zwei Generationen von
Bauern aus ihrem Leben auf diesem Land und ihrem unendlichen Kampf gegen
die Besatzung.
Muhammad Ibrahim Youssef Hassan
Joudeh, 83 Jahre alt.
„Ich nahm an der Revolution von 1936
teil. Es war im Jahr meiner Hochzeit. Seit damals bis heute habe ich
mein Land bepflanzt und geerntet, Gemüse, Tierfutter, Weizen und Linsen
angebaut. Ich hatte 18 Kühe und 50 Schafe, einen Esel, Pferde und zwei
Kamele. Wir hatten Milch und machten Käse – wir behielten, was wir
benötigten für uns, den Rest verkauften wir, um andere Ausgaben damit zu
bestreiten. Wir warn glücklich – unsere Felder und unsere Tiere
lieferten uns alles, was wir brauchten oder wünschten.
Meine 16 Kinder arbeiteten mit mir.
Einer meiner Söhne hatte einen Traktor, den wir mit unsern Nachbarn
teilten. Wir verbrachten den größten Teil unserer Zeit – den größten
Teil unseres Lebens – auf dem Land mit unsern Schafen und Tieren, ja
schliefen auch dort. Von den Früchten des Landes, konnte ich eine gute
Summe Geld für die Hochzeit der Söhne sparen.
Als Oslo kam, gingen viele in
israelische Fabriken arbeiten oder machten dort Geschäfte – wir
verließen aber nie unser Land – das Land gab uns alles.
Aber in den letzten zwei Jahren
machte uns die Besatzung und die Mauer das Leben immer unerträglicher.
Sie haben uns buchstäblich von unserm Land getrieben. In diesem Jahr
erlaubte uns die Besatzung, nur gerade vier Tage für das Bearbeiten und
Pflanzen des Landes auf ihm zu sein. Was können wir in nur vier Tagen
tun? Wie können wir das Land bearbeiten, säen und pflanzen? Es war für
nichts genügend Zeit. Sie ließen uns keinen Traktor, keine Maschinen
benützen – sie sagten, alles müsste allein mit Tieren gemacht werden.
Jeder arbeitete, so gut und schnell er konnte vier Tage lang. Wir
versuchten, aber am Ende blieb der größte Teil des Landes unbearbeitet.
Mit Gewalt vertreiben sie uns und unsere Tiere. Ich hatte so viel Vieh,
aber jetzt mit der Mauer, ist nicht genügend Weideplatz für dieses da
und ich kann sie nicht mehr füttern. Also musste ich sie verkaufen.
Rafat wird von zwei Mauern umgeben –
eine im Osten und eine im Westen. Letztere wurde vor mehr als einem Jahr
fertig gestellt, während die Letztere noch im Bau ist. Der erste Teil
der Mauer nahm schon einen großen Teil des Dorflandes weg.
„Wenn die Mauer im Osten auch fertig
gestellt ist, wird sie die letzten 15 Dunum Land der Familie wegnehmen.
Wir bepflanzen es gerade, so dass wir wenigstens etwas für die täglichen
Bedürfnisse haben. Doch nun hat die Besatzung angefangen, Wildschweine
auf unser Land östlich des Dorfes zu bringen - jeden Tag muss ich
beobachten, wie sie die Bäume und Pflanzen zerstören. Woher sie diese
Schweine bringen, weiß ich nicht.
Heute sind meine Söhne alle ohne
Arbeit. Um auf unser Land zu kommen, brauchen wir eine Genehmigung von
der Besatzung. Allen meinen Söhnen haben sie die Genehmigung, zu unsern
Feldern zu gehen, verweigert. Und ich kann in meinem Alter selbst nicht
mehr das Land bearbeiten – ja, selbst das Gehen fällt mir schwer. Vor
zwei Tagen war ich bei einer Beerdigung und vom Friedhof konnte ich
einen Blick auf mein Land werfen. Es machte mich sehr traurig, dass ich
es nur aus der Ferne sehen konnte.
Ich schwöre, dass ich niemals solch
eine Unterdrückung und Hilflosigkeit gefühlt habe wie in den letzten
Jahres meines Lebens. Nichts hat man mir gelassen. Das Land ist Teil
meiner Seele und meiner Würde. Solange wir unser Land hatten, mussten
wir niemanden um etwas fragen und bitten. Aber nun nimmt die Besatzung
uns alles.
„Unsere Familie hat eine Menge Land,
das nun isoliert hinter der Mauer liegt. Wir bauten dort Weizen, Gerste,
Linsen und Futterpflanzen an. Im Sommer bauten wir dort auch wilde
Bohnen an. 1977 ernteten wir 4,2 Tonnen von Weizen, Linsen und etwa die
selbe Menge von Futter . Wir hatten genug für das ganze Jahr –
tatsächlich hatten wir mehr, als wir brauchten. Wir verkauften alles
Übrige und kauften wichtige Dinge für das Haus. Schon als kleines Kind
habe ich dieses Land bearbeitet, indem ich meinem Vater und Großvater
half. Seit Generationen hat unsere ganze Familie dieses Land bebaut –
bis jetzt.
Während des ganzen Jahres war es uns
nur viermal erlaubt, auf unsere Felder zu gehen: zwei Tage zum Pflügen
und zwei Tage, um das Unkraut zu entfernen. Also mussten wir alles sehr
schnell machen, und es war unmöglich, etwas zu pflanzen. Sie erlaubten
uns nicht, einen Traktor oder andere mechanische Ausrüstung zu
benützen, mit der wir in der Lage gewesen wären, das Land in drei Tagen
zu pflügen. Also baute ich nur Futterpflanzen an.
Selbst in diesen vier Tagen mussten
wir, um auf unser Land zu gelangen, bis zu einem Übergang 7 km laufen.
Wir verschwendeten so anderthalb Stunden. Es gab zu dieser Zeit kein
Tor - nur Soldaten und Bulldozers, die den Mauerbau vorbereiteten. Als
wir dort ankamen, warfen die Soldaten alles, was wir mit uns hatten, auf
den Boden. Sie lösten sogar den Sattel auf den Eseln . Dann ließ man uns
von 7 Uhr bis 9 Uhr warten, bevor sie uns passieren ließen. Die Soldaten
sagten uns: „Alles Land hinter der Mauer gehört euch nicht mehr. Wenn
ihr es erreichen wollt, müsst ihr Anträge stellen .“ Als wir dann zur
Ernte unserer Felder wollten, hat man uns einfach zurück geschickt.“
Im März wurde ein Tor in die Mauer
eingesetzt. Danach wurden wir jeweils, wenn wir uns um unser Land
kümmern wollten, weggeschickt. Wir müssten Passierscheine haben, um zu
unsern Feldern zu gelangen. Also haben wir Anträge weggeschickt. Wir
sollten dann unseren Besitz belegen und 500 NIS ( 100 $) für jedes
Stück Land bezahlen. Dann zeigte ich ihnen meine Besitzurkunde für ein
Stück von 104 Dunum . Ich konnte es mir nicht leisten, für den Rest
meines Landes diese Summe zu zahlen . Aber sie gaben uns trotzdem
keine Passierscheine. Stattdessen sperrten sie uns ganz von unserm Land
aus.
Bis jetzt habe ich die Samen/
Pflänzchen ???? noch nicht bezahlt, die ich gepflanzt habe. wo kann ich
das Geld finden, um meine Schulden zu bezahlen? Ich hatte Tiere – doch
die meisten musste ich verkaufen. Wo kann ich Weizen finden? Es sind nur
ein paar Pflanzen zwischen den Olivenbäumen. Ich habe neun Kinder – das
wird keine zwei Monate für Brot für sie reichen. Wir sind wie
Flüchtlinge in unsern eigenen Häusern.
Letzten Monat versuchte ich, Mittel
und Weg zu finden, um das Tor zu passieren. Die Soldaten schrieen mich
an: „Wohin gehst du?“ Ich sagte: „Ich will mein Getreide ernten. Sie
sagten mir, das Tor sei am nächsten Tag um 6 Uhr offen. Also ging ich
ins Dorf zurück und sagte allen, wir könnten am nächsten Tag alle
zusammen gehen. Wir würden darauf bestehen, uns allen sei es erlaubt,
unser Land abzuernten. Als wir dorthin kamen, drohten uns die
Besatzungsmächte mit Erschießen. Sie hinderten uns sogar daran, nahe an
die Mauer und das Tor zu kommen . Seitdem kehrten wir täglich zurück und
bestanden weiter darauf, wir hätten Zugang zu unserm Land. Sie ließen
uns nicht passieren – aber wir kamen immer wieder zurück.
Die Apartheidmauer wird die Dörfer
Rafat, Deir Ballut und Sawiya in ein völlig abgeschlossenes Getto
einsperren. Wenn der Bau fertig gestellt ist, wird nur ein Tunnel, der
von den Besatzungsmächten kontrolliert wird, diese Dörfer mit der
Außenwelt verbinden. Die Bauern verlieren ihre Ländereien an die
Siedlungsexpansion rund um den Arielblock. Doch ohne ihr Land sind sie
nicht in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.
Das „Genehmigungssystem“ der
Besatzung, das systematisch den Bauern den Zugang zu ihrem Land
verweigert, stranguliert die Gemeinden. In den vergangenen Monaten war
es keinem Bauer und Arbeiter aus Masha, Rafat und Sawiya erlaubt, zu
ihrem Land zu gehen. Den meisten wurde der „Passierschein“ verweigert.
Nur wenige erhielten ihn, doch als sie zum Tor kamen, wurde ihnen dieser
vor ihren Augen zerrissen.
Auf diese Weise schafft das
zionistische Projekt der Expansion und Kolonisierung mit zunehmender
Geschwindigkeit Land- und Besitzlosigkeit.
Bildunterschrift: Dawood Abdel
Fattah Nimr Ayash, 43 Jahre alt.
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