PLÄDOYER GEGEN DIE FEIGHEIT
Interview mit Rupert Neudeck
geführt
im Dezember 2007
Hakam Abdel-Hadi
Dürfen oder müssen gar die Deutschen Politiker und
Bürger Israel kritisch sein? Der Publizist,
Journalist und Menschenrechtler, Rupert Neudeck, der
sich seit 29 Jahren mit seiner einstigen
Organisation Cap Anamur und seiner derzeitigen
Organisation Grünhelme weltweit für Menschen in Not
einsetzt und zur Zeit die Aufhebung der
israelischen Blockade gegen 1,5 Millionen Menschen
im Gazastreifen entschieden und mit Tatkraft
fordert, spricht sich eindeutig in seinem Buch „Ich
will nicht schweigen“ gegen die Feigheit der
deutschen Politiker aus, die Israel trotz seiner
Menschenrechtsverletzungen, wie jetzt die
Kollektivstrafe gegen die Bevölkerung des
Gazastreifens, mit Kritik schonen.
Das
neueste Buch von Rupert Neudeck mit dem Titel
„Abenteuer Menschlichkeit“ war der aktuelle Anlass
für dieses Interview, das Hakam Abdel-Hadi mit ihm
Mitte Dezember 2007 geführt hat:
Frage: Herr Rupert
Neudeck, ein neues Buch ist von Ihnen erschienen;
Titel: „Abenteuer Menschlichkeit“, voriges Jahr ein
Buch über Palästina/Israel: “Ich will nicht
schweigen“. Sie waren und sind aktiv in humanitären
Einsätzen in Afrika, ihr Sorgen Kind, wie Sie es
nennen; Ihre Einsätze in den Balkangebieten,
Tschetschenien, Palästina usw. Der Tag hat 24
Stunden, wie viele davon arten bei Ihnen in Arbeit
aus?
Antwort: Eigentlich
eine ganze Menge von diesen Stunden, aber ich denke
immer ironisch und als geborener Preuße an den
schönen Satz von unserem Feldmarschall Moltke, der
- wenn seine Mitgeneräle sich beschwert haben wegen
Mangel an Zeit - gesagt hat: Meine Herren, der Tag
hat 24 Stunden und wenn das nicht reicht, dann
nehmen Sie die Nacht dazu… Mein Tag ist ausgefüllt.
Ich schlafe sicher meine sechs Stunden, aber
regelmäßig…
Frage: Was sind die
wichtigsten Schlussfolgerungen Ihrer humanitären
Einsätze, eine klassische Frage?
Antwort: Ich habe
mich in der ganzen Zeit von 29 Jahren, die wir das
jetzt machen, immer auf meine deutsche Bevölkerung
verlassen können. Sie hat uns immer, wenn sie ganz
konkret Not erfährt, wenn wir ihr berichten über
Notsituationen von Menschen, die durch Natur- oder
Menschen gemachte Katastrophen in eine furchtbare
Notlage geraten waren, wenn sie zusammengehauen
wurden, ertrunken oder verhungert sind, sie hat uns
immer dabei geholfen. Wir konnten dann Aktionen
machen, manchmal dramatische Aktionen, sogar
Aktionen, wo wir gegen den ausdrücklichen Willen der
Regierung etwas gemacht haben. Deshalb lobe ich am
Ende dieser Zeit meine Bevölkerung und nicht meine
Regierung.
Frage: In Ihrem neuen
Buch befasst sich ein Kapitel mit dem Thema
Palästina/Israel mit dem Titel: „Ein Plädoyer gegen
die Feigheit“. Um welche Art von Feigheit handelt es
sich dabei?
Antwort: Um die
richtig typisch deutsche Feigheit, die wir
möglicherweise herüber getragen haben aus der Zeit
des furchtbaren Zusammenbruchs unserer Geschichte im
Nationalsozialismus in unsere Zeit. In dieser Zeit
sind wir frei geworden, aber wir unterwerfen uns
auch Denkverboten. Ein guter Freund, Paul
Östreicher, ein ehemaliger Deutscher, deutscher
Jude, der jetzt in Großbritannien als Kanonikus
arbeitet, hat mir gesagt: Ihr Deutschen seid immer
merkwürdig! In der Zeit des Nationalsozialismus
kannten meine Eltern doch viele Deutsche, die das
nicht wollten, was da mit uns geschah und was an
Menschenrechtsverletzungen geschah, aber sie hatten
Angst, als Philosemiten angesehen zu werden, deshalb
haben sie das sein gelassen, was sie tun wollten
oder sollten. Und heute ist es genau umgekehrt.
Heute denken viele Deutsche, sie dürfen das nicht
tun oder denken, weil sie dann Antisemiten sind,
also schon wieder Feigheit. Wir müssen uns endlich
von diesen Ängstlichkeiten und von dem mangelnden
Mut befreien. Wir müssen aufhören, feige zu sein.
Frage: Es ehrt Sie als
Publizist und Journalist, dass Sie, was den
palästinensisch-israelischen Konflikt angeht, kein
Feiger sein wollen.
Haben Sie denn
Verständnis für die Feigheit deutscher Politiker in
dieser Fragestellung?
Antwort: Nein, ich
habe überhaupt kein Verständnis. Ich habe das wieder
jetzt erlebt: Frau Herta Däubler-Gmelin, die
Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des
Bundestages, hat es geschafft, mit einer Delegation
des Bundestages in den Gazastreifen zu kommen. Sie
hat einen sehr dramatischen Bericht über die Notlage
dieser Bevölkerung gemacht und musste erleben, dass
dieser Bericht eigentlich in den Medien gar nicht
zur Sprache kommt. Ich habe sie beglückwünscht, weil
ich davon gehört habe, und sie hat mir geschrieben:
ja, das ist eben so in Deutschland, die Medien haben
alle Angst, dass sie antisemitisch werden, wenn sie
so etwas berichten. Ich möchte aber, dass meine
Politiker gerade dann, wenn die Medien ihnen nicht
zugetan sind, gerade dann müssen sie viel lauter
schreien und viel beherzter ans Werk gehen als sie
das tun bei ganz einfachen Sachen. Also, ich habe
überhaupt kein Verständnis für die Feigheit meines
Bundestages und meiner Regierung.
Frage: Vielleicht sind
Sie zu idealistisch. Würden Sie z.B. einem jungen
deutschen Politiker, der Kariere machen will, raten,
Israel kritisch zu sein?
Antwort: Ja, sicher
würde ich das tun, und zwar würde ich das jetzt
sogar tun mit einer großen Aussicht, die ich ihm
versprechen könnte. Wenn er nämlich einzigartig ist
in der Politik und nichts verkehrt macht – er muss
es natürlich so machen, dass es vernünftig ist, das
würde ich schon verlangen - dann wird er
wahrscheinlich in den nächsten Jahren ein
herausragender Politiker sein. Denn wir wissen alle,
wir erleben es alle, dass Israel auf Dauer diese
Form der Bewältigung seiner Sicherheitsfragen nicht
schaffen wird. Man kann auf Dauer sein Territorium
nicht allein durch die Erhöhung seines Wehretats,
durch die totale Mobilisierung der jungen männlichen
und weiblichen Bevölkerung sichern, durch die
Besatzung des Nachbarterritoriums sichern, auf Dauer
wird das kaputt gehen. Und je eher das ein deutscher
Politiker, der in dem Bundestag ist oder in den
Bundestag will, endlich laut sagt, umso besser für
uns als Gesellschaft.
Frage: Glauben Sie,
dass die deutsche Bevölkerung, was die
Palästina-Israel-Frage angeht, weiter als die
Politiker ist?
Antwort: Ja, ganz
eindeutig. Alle, die in dieser Frage alternativ und
komplementär zum mainstream, also zu dem Hauptstrom
der öffentlichen Meinung, der politischen Meinung,
denken, erfahren das bei ihren Vorträgen, bei ihren
Sitzungen in Dörfern in Klein- und Großstädten. Wir
erleben andauernd, dass die Bevölkerung in
Deutschland sehr viel vernünftiger, freier und
mündiger über diese Situation denkt als die
politische Führung in Berlin und in den Hauptstädten
der Bundesländer. Auch freier als die Medien. Das
ist eine große Kluft, übrigens eine gefährliche
Kluft, weil in allen Fragen in einer so lebendigen
Demokratie, wie wir es in Deutschland sind, in allen
Fragen richten sich die Herrschenden, die
Exekutivgewalten nach der öffentlichen Meinung. Wir
haben nicht umsonst jede Woche Umfragen im ZDF und
in ARD, in denen uns gesagt wird, wie die
Bevölkerung denkt. Die Politiker sitzen mit
Argusaugen und nehmen das gierig auf. In dieser
einen (Palästina-Israel- H. A.) Frage geschieht es
aus Feigheit und Ängstlichkeit nicht, und ich halte
das für sehr gefährlich, weil es immer gefährlich
ist, wenn eine Bevölkerung weit voraus der eigenen
Regierung ist und die Regierung mit heraus hängender
Zunge hinterher rennen muss.
Frage: Ein ehemaliger
deutscher Minister und prominenter Sozialdemokrat
sagte mir vor vielen Jahren - out of the record,
also vertraulich und nicht für die Öffentlichkeit
gedacht -, ich weiß, dass die israelischen Politiker
den Holocaust für ihre Zwecke instrumentalisieren,
aber ich kann es nicht öffentlich sagen, weil ich
zur Flakhilfe-Generation gehöre, aber - fügte er
hinzu – die jüngeren Sozialdemokraten, Schröder und
Lafontaine – damals waren die beiden
Ministerpräsidenten – könnten sich das leisten. Was
ist Ihr Kommentar dazu?
Antwort: Das dauert
wahrscheinlich noch eine Phasenverschiebung länger.
In der deutschen Geschichte ist dieser Eingriff,
dieser Zusammenbruch, dieser Bruch in unserer
deutschen Geschichte ganz offenbar so massiv
gewesen, dass wir uns immer noch nicht klar machen,
dass es leider doch länger dauert. Also ich würde
ganz sicher sein, dass es die Generation meiner
Kinder ist. Das ist auch gar nicht von der
Lebensgeschichte her ganz eindeutig zu begründen.
Ich stecke noch mit zwei Zehen meines rechten Fußes
(lachend – H. A.) in dieser Vergangenheit, als
jemand, der 1939 in Danzig geboren worden ist.
Meine Kinder stecken mit nichts mehr in dieser
Vergangenheit. D. h. sie können nicht mal mehr in
der kollektiven Psyche etwas davon ausmachen. Sie
werden eine ganz freie Diskussion über dieses Thema
haben können, und das wird sowohl für Deutschland
gut sein, für die deutsche politische Hygiene gut
sein; es wird auch für Israel, Palästina und den
gesamten Nahen Osten gut werden. Denn, was wir
immer bei diesem Thema versäumen zu sagen, ist, dass
es kein Regionalkonflikt ist, der da tobt. Es ist
ein Weltkonflikt, dieser Weltkonflikt ist auf der
ganzen Welt bekannt. Alle Muslime dieser Welt
empfinden das als ungerecht, was da geschieht, und
die erlebe ich in Hindukusch, in Sumatra, in Java,
in Kaschmir in den Bergen. Menschen wissen manchmal
nichts auf der Welt, aber von dieser Ungerechtigkeit
wissen sie etwas. Deshalb muss dieser Konflikt
gelöst werden. Der Beginn eines zweiten Staates auf
diesem Territorium wird eine Lösung zugunsten des
Weltfriedens sein. Davon bin ich ganz fest
überzeugt.
Frage: Zurück zum
Anfang des Interviews . Ihr vorletztes Buch gegen
das Schweigen bezüglich Palästina/Israel war eine
schwere Geburt: Problem bei der Verlagsfindung,
Kritiker schwiegen es tot usw. Wie ist es mit Ihrem
neuen Buch „Abenteuer Menschlichkeit“ gelaufen? Sie
stehen doch nicht auf einer schwarzen Liste,
oder?
Antwort: Nein, das war
nur bei diesem Buch, das sich ausdrücklich und
ausschließlich mit Palästina/Israel beschäftigte und
dann auch aus kritischer Sicht. Das war in der Tat
eine richtig Schwarze Liste, auf der ich stand und
deshalb ist das Buch nirgendwo in den allgemeinen
Medien besprochen worden. Es ist nirgendwo eine
Verkaufskampagne gewesen. Deshalb hat der Verleger
auch darunter gelitten. Der Verlag ist jetzt auch
eingegangen. Den Melzer Verlag gibt es gar nicht
mehr. Bei diesem Buch ist es ein renommierter
wunderbarer deutscher Verlag. Ich wollte einmal in
meinem Leben ein Buch machen in dem Verlag meines
großen Mentors und Freundes Heinrich Böll und das
ist Kiepenheuer & Witsch in Köln, und das ist mir
jetzt gelungen, und darüber bin ich ganz froh.
* Herr Rupert Neudeck,
ich danke Ihnen für das Gespräch