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Obamas zerplatzter Traum
Bei
seinen früheren
Auftritten – vor zwei
Jahren in Kairo und vor
einem halben Jahr im
Kongress – hatte Barack
Obama noch einen Traum.
Am Mittwoch, den 21.
September 2011, waren
nur noch die Trümmer
dieses Traumes sichtbar.
Es war keine schlechte
Rede, die Obama vor der
UN-Generalversammlung
gehalten hat, es war
aber auch keine gute
Rede. Es war eine
gewöhnliche und
nichtssagende Rede, und
eine, in der es um
nichts ging. Und mehr
noch: Es war eine
enttäuschende, traurige
und niederträchtige
Rede. Die Niedertracht
kam dabei nicht aus der
Rede, sie kam vom
Redner. Nach drei Jahren
Amtszeit sind nicht nur
seine Haare ergraut, man
spürte auch Enttäuschung
und Frustration in
seiner Stimme, fast in
jedem Satz. Derjenige,
der am Mittwoch vor der
Generalversammlung
sprach, war nicht der
Obama, der er einmal
war, vor nicht allzu
langer Zeit.
Bei seinen früheren
Auftritten hatte er noch
einen Traum; geblieben
sind ihm davon nur noch
Scherben. 2009 versprach
er, sich persönlich
einzusetzen, „um ein
Ergebnis zu erzielen,
mit all der Geduld, die
ein solches Vorhaben
erfordert... Jetzt ist
die Zeit, die
Verpflichtung gegenüber
den Palästinensern
einzulösen.“ Damals
erwähnte er die
„tagtäglichen
Demütigungen, die mit
der Besatzung
einhergehen“ und fügte
hinzu: „Damit kein
Zweifel besteht – die
Lage des
palästinensischen Volkes
ist unerträglich.“ Er
verglich sogar den Kampf
der Palästinenser mit
dem Kampf der schwarzen
Amerikaner um
Gleichberechtigung. In
seiner Rede vom Mittwoch
erwähnte er dagegen nur
noch „Amerikas
Verantwortung für die
Sicherheit Israels“ und
ignorierte die
berechtigten Forderungen
des palästinensischen
Volkes. Im Juni 2009
forderte er noch klar,
deutlich und energisch,
den Bau neuer Siedlungen
und den Ausbau der
bestehenden
einzufrieren. Er sagte:
„Es ist Zeit, dass der
Siedlungsbau aufhört.“
Am Mittwoch konnte man
jedoch nicht ein
einziges Wort der Kritik
daran hören, dass die
Israelis tagtäglich und
völlig einseitig neue
Fakten in der Region
schaffen. Obama schloss
mit der Aufforderung:
„Israel verdient es,
anerkannt zu werden!“
Man fragt sich nur, an
wen dieser markige Satz
gerichtet war. An
Nordkorea? Oder den
Iran? Die meisten
Mitglieder der
UN-Vollversammlung haben
Israel doch schon längst
anerkannt. Derjenige,
für den diese Rede fast
schon ein innerer
Orgasmus war, ist
Avigdor Lieberman, der
unmittelbar danach
bereit war, „die Rede
mit beiden Händen zu
unterschreiben“.
Der schwarze Zauber ist
verflogen, die Vision
verschwunden, als ob es
sie nie gegeben hätte,
und nur die hässliche
Gegenwart ist ihm
geblieben: „Es gibt
keine Abkürzung auf dem
Weg zu (einem Staat)
Palästina“ – das war
seine Botschaft, die er
sich von Benjamin
Netanjahu entliehen hat,
denn das waren genau
dessen Worte; als ob man
diesen Weg nicht schon
seit 44 Jahren gehen
würde und dabei nicht
immer nur im Kreis
gegangen wäre und es
immer noch tut. Traurig.
Traurig und armselig.
„Die Israelis können
zufrieden sein“,
verkündeten die
israelischen
Kommentatoren aus New
York. Ob die
Palästinenser zufrieden
sind, spielte für sie
keine Rolle, und
offensichtlich auch
nicht für Barack Obama.
Dennoch füllt sich das
Herz der kritischen und
anständigen Israelis mit
Sorgen.
Der Führer der
Großmacht, der große
Verfechter der
Menschenrechte, der
schon seinen
Friedensnobelpreis
bekommen, aber nicht
verdient hat, der
Kämpfer für Recht und
Gerechtigkeit, Freiheit
und Demokratie, hörte
sich an wie ein ganz
gewöhnliches
Staatsoberhaupt, das
viel will und wenig
kann. Anstatt Hoffnung
bekamen wir einen Schlag
ins Gesicht, den sogar
sein Vorgänger Bush
nicht auszuführen gewagt
hätte. Es fällt schwer,
sich über ihn zu ärgern,
über diesen guten
Menschen und seine guten
Absichten. Aber noch
schwerer fällt es, ihn
in seiner Ohnmacht zu
sehen, als einen Samson,
dem man die Haare
geschnitten hat, der
seine Kraft und seine
Macht verloren hat. Ob
sein Gott ihm je wieder
Kraft gibt?
Die Rede wurde nicht
durch Beifall
unterbrochen, und auch
als er sie beendet
hatte, stand niemand
auf. Eigentlich hat nur
eine Delegation von
dieser allgemeinen
Gleichgültigkeit
profitiert: Wenn sich
die vorherige
Generalversammlung auch
mit der iranischen
Atombombe beschäftigt
hat, ist dieses Thema
nun an den Rand gedrängt
worden. Wer interessiert
sich noch dafür, außer
den Israelis?
Ahmadinejad kann
beruhigt die Hände
reiben. Seine Arbeit
wird von anderen
erledigt.
Obama rief die Völker
dazu auf, den
„arabischen Frühling“ zu
unterstützen. Er selbst
tut sich aber schwer
damit, den
palästinensischen Winter
zu verkürzen. Er ist
machtlos gegenüber der
verantwortungslosen
Koalition zwischen Rick
Perry, Avigdor Lieberman
und dem AIPAC. Gerade
erst vor einem Jahr hat
er sich selbst auf
derselben Bühne dazu
verpflichtet, innerhalb
eines Jahres für die
Gründung eines
palästinensischen
Staates zu sorgen.
Seitdem war er nur noch
darum bemüht, sich davon
zu distanzieren. Sein
Herz wagt es nicht,
seinem Mund zu sagen,
was er aussprechen
sollte. Obama gleicht
einem gefesselten
Prometheus. Dieser Held
der griechischen
Mythologie war ebenso
ein tragischer Held wie
er. Ein Freund der
Menschheit, der ihr
sogar das Feuer gereicht
hat. Obama hat Israel
alles gegeben, was es
wollte, aber die Götter
im Jerusalemer Olymp
bestrafen ihn dennoch,
schleudern Blitz und
Donner gegen ihn; dies
ist die israelische
Tragödie. Man kann nur
noch hoffen, dass Obama
eine zweite Amtszeit
bekommt und in dieser
alle Blankoschecks
einkassiert, die er
Netanjahu und Lieberman
ausgestellt hat. Erst
dann könnte es den
Israelis besser gehen.
Inzwischen, weit weg von
der Generalversammlung
in New York, am
Checkpoint Qalandiya,
bei der ersten
Auseinandersetzung
zwischen Demonstranten
und israelischen
Soldaten, hat ein
palästinensischer Junge
ein Auge verloren. Auch
er reiht sich damit ein
in die lange, sehr lange
Liste der Israelis und
Palästinenser, die die
Geburt eines
palästinensischen
Staates wohl nicht
erleben oder sie nur mit
einem Auge sehen werden.
Es ist uns allen klar,
dass der Staat Palästina
eines Tages entstehen
wird. Traurig ist, dass
bis dahin trotzdem noch
viele Opfer zu
verzeichnen sein werden.
Schade, dass die Welt
von solch
unverantwortlichen und
feigen Politikern wie
Netanjahu, Lieberman,
Obama und Merkel regiert
wird. Uns allen muss
aber klar sein, dass
nicht die UN und schon
gar nicht Obama das
Problem lösen wird. Das
Palästinaproblem wird
weiterhin das Problem
der Israelis sein, und
sie werden es lösen
müssen, oder daran zu
Grunde gehen.
Dieser Beitrag wurde von
Jossi Sarid geschrieben
und von Abraham Melzer
übersetzt und ergänzt.