Texte von Ilan Pape
Gartenstadt und
Gefängnisstadt : eine Lektion in Heuchelei
Ilan Pappe *, News from Within,
Juni-Juli 2004
Die UNESCO hat
kürzlich Tel Avivs „Weiße Stadt“- Gegend den Status des
Weltkulturerbes zuerkannt. Diese Anerkennung hat finanzielle Hilfe
zur Folge, lässt die lokale Tourismusbranche in die Höhe schnellen
und bringt ein hohes Mediumprofil für die Stadt mit sich. Dieser
Preis wurde Tel Aviv als 1.Gartenstadt zuerkannt, für ihre vielen
Gebäude im Bauhausstil, die die UNESCO als ein hervorragendes
architektonisches Beispiel der modernen Bewegung in einem neuen
kulturellen Kontext betrachtet. Die israelischen Behörden hatten
während der letzten vier Jahre große Anstrengungen unternommen, um
diesen begehrten Preis zu erlangen, der nicht nur ihren Versuch
rechtfertigt, Tel Avivs archetektonische Bedeutung zu vermarkten,
sondern auch die lange Geschichte der Stadt als erste exklusiv
jüdische Stadt, die in Palästina gebaut wurde: der Stolz des
zionistischen Projektes und das letzte Symbol des Europäismus
inmitten der arabischen Welt.
Ziemlich zur selben
Zeit wurde der Welt eine andere zionistisch städtische Erfindung
gezeigt: die Gefängnisstadt. Es ist eine Weiterentwicklung eines
Themas von 1993 – das regionale Gefängnis, das ausgeführt wurde, als
der Gazastreifen nach dem Osloer Friedensprozess mit einer
Gefängnismauer abgesperrt wurde. Die Gefängnisstadt wird nun an
verschiedenen Orten geschaffen, auch in Vorstädten von Jerusalems
und den Städten von Kalkilia und Tulkarem – und es sieht so aus, als
kommen noch mehr dazu. Beide Städte, Kalkilia und Tulkarem sind von
einer hohen Gefängnismauer umgeben, die so nah wie möglich an die
Häuser des Stadtrandes gebaut wurden, dass nicht einmal mehr ein
schmaler Streifen zwischen den Mauertürmen der Besatzer und den
Häusern der Besetzten blieb. Israelis, die auf der Straße 6 der
neuen auf konfisziertem Land gebauten Umgehungsstraße fahren – sie
verbindet den Norden Israels mit dem Süden – können noch immer diese
Mauer sehen. Da man sehr eifrig darum bemüht ist, Erdwälle davor zu
errichten und diese mit Bäumen zu bepflanzen, werden die beiden
Gefängnisstädte bald für vorbeifahrende Autofahrer nicht mehr zu
sehen sein.
Die Bewohner und
Besucher der Gartenstadt Tel Aviv könnten leicht erfahren, was kaum
20km weiter geschieht. Aber mit Hilfe von derartigen Trophäen wie
die UNESCO-Anerkennung wird es einfacher sein, mit dem
Nicht-wissen-wollen und der Gleichgültigkeit fortzufahren.
Vor einem Monat
(Mai 2004) fand in Tel Aviv eine der wichtigsten sportlichen
Ereignisse statt: das Finale der Europa-Basketballspiele. Die
Westbank wurde für die Dauer des Turniers abgesperrt, seine ganze
Bevölkerung innerhalb der Mauern und der bedrohlichen Checkpoints
gefangen gehalten. Dies war mehr als nur ein Basketballspiel. Es
beendete einen de-facto Boykott der letzten vier Jahre gegenüber
Israel als Austragungsort für internationale Sportereignisse . Die
Aufhebung kam nicht als Reaktion auf eine fundamentale Veränderung
der israelischen Politik in den besetzten Gebieten, sondern eher auf
dem Hintergrund von sogar schärferen Maßnahmen in bezug auf
Beraubung und Unterdrückung. Internationale Anerkennung jeder Art
bestärkt unter Israelis nur den Eindruck, sie könnten mit ihrer
abgebrühten Politik fortfahren und wenn sie wollen , sie sogar noch
verschärfen. Die Zerstörung in Rafah war nicht lange nach dem
Turnier, und militärische Operationen fanden überall in den
besetzten Gebieten statt, gewöhnlich ohne Kommentar der meisten
Israelis oder der Welt außerhalb. Solch internationale - und
besonders europäische - Blindheit gegenüber der israelischen
Besatzung lässt nicht nach, weil Israel von seinen illegalen
Handlungen gegenüber den Palästinensern immer freigesprochen worden
ist. Viele Teile der Gartenstadt von Tel Aviv sind über den Ruinen
palästinensischer Dörfer erbaut worden , einschließlich der
Universität, die die Bemühungen der Regierung, Tel Avivs europäische
Architektur groß herauszustellen, akademisch unterbaute.
Bevor die
Palästinenser 1948 aus diesen Dörfern vertrieben wurden, lebten sie
in wunderschönen Häusern ( Tel Avivs Universitätsclub, das Grüne
Haus, ist in einem der sehr wenigen übriggebliebenen, untergekommen)
oder in kleineren, die neben Wasserläufen gebaut wurden, die heute
schwer kontaminiert sind, oder in Dörfern wie Al-Khayriyya (arab.
die Beste) über dem heute der Hauptmüllberg der neuen Stadt liegt.
Israels Kenner von
Architektur, Kunst und Kultur mögen gern in solch schönen Häusern
wohnen, aus denen die Bewohner von Jaffa 1948 vertrieben wurden. In
der Nähe dieser Häuser ist ein städtisches Slumgebiet, in dem noch
eine kleine palästinensische Gemeinde, die nach der ethnischen
Reinigung geblieben ist, lebt – es ist eine an den Rand gedrängte
Gesellschaft, die gegen Kriminalität und Armut kämpft. Und das
innerhalb der reichen Stadt von Tel Aviv!
Das Feiern von Tel
Avivs kulturellen Leistungen sollte nicht vonstatten gehen oder
ermutigt werden, solange Gewaltherrschaft und Besatzung herrschen
und so lange die Schandtaten der Vergangenheit nicht anerkannt
worden sind. Würde wohl Bagdad während des Regimes von Saddam
Hussein auf solch hohe Ebene der Anerkennung gehoben worden sein?
Würde Berlin als Kulturzentrum hochgelobt worden sein, bevor die
Deutschen Reue gezeigt und für den Holocaust Kompensationen gezahlt
haben? Und hätte Pretoria solch eine Anerkennung gewinnen können,
solange in Südafrika die Apartheid regierte?
Tel Aviv ist in
den letzten 30 Jahren jedoch eine Ausnahme . Tatsächlich hat man
schon 1948 übersehen, dass die ursprüngliche Gartenstadt sich auch
über das Land von zerstörten palästinensischen Dörfern und der
Stadt Jaffa ausgedehnt hat.
Es ist - besonders
für Europa - noch nicht zu spät, diese Schönfärberei der dunklen
Geschichte der Weißen Stadt zu ändern. Eines der katastrophalsten
europäischen Vermächtnisse ist die palästinensische Nakba. Es war
eine europäische Entscheidung , das jüdische Problem auf Kosten der
Palästinenser zu lösen; sie löste die tragische Kette von
schrecklichen Ereignissen aus. Israel wird so lange seine Besatzung
und Verweigerung fortsetzen, solange wie es die bedingungslose
Unterstützung der USA hat – gegen die im Augenblick wenig getan
werden kann - und solange es die Zustimmung von internationaler und
europäische Seite geniest. Die letztere ist nicht nur
ungerechtfertigt, sondern in der augenblicklichen Situation auch
äußerst unverantwortlich und sollte durch Verurteilung, realen Druck
und Sanktionen gegenüber dem Staat ersetzt werden, der
Gefängnisstädte schafft und behauptet, die einzige Demokratie im
Nahen Osten zu sein.
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Ilan Pappe ist Aktivist
und Akademiker vom politisch linken Flügel. ZZt ist er Dozent für
politische Wissenschaften an der Universität von Haifa und Direktor
des Emil Touma-Instituts für palästinensische Studien in Haifa
Dt. Ellen Rohlfs
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