Texte von Ilan Pape
Offener Brief an Tony Blair
Ilan Pappe, August 2005*
Lieber
Tony, entschuldige diesen persönlichen Ton!
Wir sind
ja mehr oder weniger im selben Alter; deshalb soll mein Brief nicht
zu belehrend und hochmütig sein. Obwohl ich nie ein großer
Bewunderer Deiner Nahostpolitik war, habe ich das Gefühl, Du hast
noch eine Chance und als britischer Ministerpräsident tatsächlich
auch Verantwortung, um Ereignisse in unserm gebeutelten Land hier
zu beeinflussen.
Der
unmittelbare Anlass für diesen Brief war der unerhörte Angriff auf
Dich in unsern Medien in Israel. Und ich habe das Gefühl, dass Deine
Botschaft in Israel Dir nicht genau berichtet hat. (Was nicht
überrascht. Ich denke, Deine Botschaft hier in Tel Aviv verbirgt vor
Deiner Regierung, was sie über die israelische Stimmung und Pläne
weiß; was Du die Road Map nennst, wird hier als israelischer
Vernichtungsplan des palästinensischen Volkes angesehen, und was Du
„Friedensprozess“ nennst, wird hier als einseitiger Plan,
Groß-Israel zu schaffen, vorgestellt.
Deine
unschuldigen Bemerkungen, die den Terror in London mit dem
ungelösten Konflikt in Palästina in Verbindung brachten, machten aus
Dir in den Augen vieler zu einem Feind des jüdischen Volkes als
Ganzes – nicht nur derer, die in Israel leben. Du magst Dich
berechtigterweise fragen, warum? Denn es gab ja in der Downing
Street 10 niemals einen britischen Ministerpräsidenten, der so
peinlich pro-israelisch war. Du verdienst solch ein Image wirklich
nicht. Aber das hast Du nun davon. Und glaube mir, es wird nicht
einfach sein, dies abzuschütteln. Wenn Haaretz, die einzige große
Tageszeitung, die wir haben, fortfährt, Dich weiter als Anti-Semiten
zu beschimpfen, dann wirst Du große Probleme haben. Sie wird es
nicht gegenüber Chirac oder Schröder wagen. Sieh, wie es läuft: weil
Du bewiesen hast, ein so zuverlässiger Unterstützer der
israelischen Politik und ein so eifriger Gegner der
palästinensischen Sache zu sein ( so als ob Du ein typischer
amerikanischer Präsident wärest), wurdest Du wie einer der unsrigen
betrachtet. Von Weltführern und erst recht von zweit- und
drittklassigen Politikern, die nicht zu uns gehören, wird erwartet,
und man erlaubt ihnen, dass sie Israel kritisieren oder in diesem
Fall die Welt sogar an die Verbindung zwischen israelischer und
amerikanischer Politik erinnern und an den Terror, den die USA im
September 2001 und England im Juli 2005 erlebte. Doch nicht jemanden
wie Dich, lieber Tony, der in den letzten vier Jahren genau so
loyal wie die gewöhnlichsten AIPAC-Lobbyisten auf dem Kapitolhügel
gewesen war. Wir vertrauten Dir. Und ohne uns zu informieren, kamst
Du mit dieser unverantwortlichen - wenn auch wahren – Erklärung.
Als ein
hoffentlich neuer Freund von Dir möchte ich Dir einen Rat geben:
nimm diese Darstellung von Dir als neuer Antisemit sehr ernst.
Weißt Du, wir haben große Erfahrungen damit - besonders in den USA –
wie man treulose Politiker und Staatsmänner abbaut. Wir haben
Methoden, die sofort in Aktion gesetzt werden: wir finden
faschistische Neigungen in Deiner Familie – wenn nötig in der
Familie Deiner Frau – und wir werden Dich ruinieren. Sieh, wie wir
damit begonnen haben, Oskar Lafontaine in Deutschland abzubauen.
Dieser Mann, der hoffte, die deutsche Linke zu vertreten, ist einer
von den Staatmännern, der von Deinem „Dritten Weg“ enttäuscht war
und noch immer an einige der Regeln glaubt, die einmal Deine eigene
Partei befolgte, bevor Du sie „neu orientiert“ hast, dieser Mann hat
Israel kritisiert. Wir erlauben keinem Deutschen Israel zu
kritisieren – selbst wenn er erst heute geboren wurde. Also decken
wir seine Nazi-Vergangenheit auf ( ohne sein Alter und seine wahre
Biographie zu berücksichtigen) Wir sind sehr effizient.
Nun ,
Tony, Du kannst natürlich noch einen anderen interessanten Artikel
in Haaretz lesen. Einer, der Dir sagt, dass nur 14 % der Europäer
heute Israels Position gegenüber der Palästina-Frage unterstützen
und mache Dir klar, dass Du ein Teil dieser winzigen, schrumpfenden
Gruppe bist. Du magst Dir wünschen, Deinen Standspunkt zu erweitern,
auch hinsichtlich Deiner anti-terroristischen Trupps, die nicht in
der Lage sein werden, Britannien vor Terror zu schützen, es sei
denn, dass die Ursache des Terrors verschwindet, die tief innerhalb
der ungelösten Palästinafrage liegt –(wie du ganz richtig
kommentiert hast.)
Vielleicht wagst Du zu Dir selbst zu sagen, dass der Konflikt in
Palästina nur deshalb weitergeht, weil die Welt nie den Mut hat,
sich gegenüber Israel und seiner abgebrühten Politik in der Westbank
und im Gazastreifen und gegenüber seiner sukzessiven Verletzung des
Völkerrechtes, zu widersetzen. Und dann – so wage ich zu sagen –
wirst Du tatsächlich finden, dass unsere israelische Methode, jede
Kritik Israels in einen antisemitischen Angriff zu verwandeln, schon
abgenutzt ist und nicht mehr funktioniert und - sobald sie
ignoriert wird, sich als sehr ineffektiv erweist.
Lieber
Tony, stelle Dir vor, dass aus der Asche der Londoner Attentate sich
ein neuer Blair-Horizont öffnet. Ein Horizont, aus dem der
augenblickliche Präsident der EU eine neue europäische Initiative
ergreift und sehr korrekt die Notwendigkeit benennt, Israel zu
zwingen, alle 1967 besetzten Gebieten zu verlassen; ein Horizont,
der beide Seiten ermutigt, eine einigermaßen gerechte Lösung für das
Problem der Flüchtlinge von 1948 und für die Palästinenser in Israel
und Jerusalem zu finden. Das wäre die beste anti-terroristische
Operation, die Du jemals hättest tun können – zugunsten von uns
allen hier in Palästina und dort in Britannien.
Dein
Ilan
Pappe