Von Lügnern und Jägern
von B. Michael
Yesioth Ahronot
Seit Ausbruch der Intifada haben die
offiziellen von der IDF
veröffentlichten Kommuniqués sich
immer mehr von Fesseln der Wahrheit
befreit. Mittlerweile ist die Zeit,
in der man tatsächliche
Wahrhaftigkeit eines IDF-Kommuniqués
als selbstverständlich hinnahm, nur
mehr ferne und verblasste
Erinnerung. Und falls sich jemand
Illusionen hingegeben hat, dass die
von der neuen IDF-Sprecherin
angekündigte Politik der „Offenheit“
die Rückkehr dieser weit entfernten
Zeit einleitet, dann wird ihm die
grausame Realität bald die Augen
öffnen. Wie ihre Vorgänger haben die
Kommuniqués der letzten Wochen einen
Leser nötig, der einen Morast von
Halbwahrheiten, verdrehter
Information, Irreleitung, totalem
Unsinn und simplen Lügen durchwaten
muss.
Zwei Beispiele aus jüngster Zeit
sollten genügen, um dies zu
demonstrieren:
1.In der Nacht zum 24.August
betraten IDF-Soldaten das
Tulkarem-Flüchtlingslager, um Adel
Abu Halil, einen islamischen
Jihad-Militanten, zu verhaften. Als
sie nach einigen Stunden wieder
herauskamen, hinterließen sie fünf
tote Palästinenser. Im
IDF-Kommuniqué stand folgendes: „Die
Soldaten stießen auf mehrere
bewaffnete, gesuchte Terroristen,
die zur islamischen
Jihad-Infrastruktur gehörten... es
wurde das Feuer auf die Soldaten
eröffnet, die ihre ihnen zugeteilte
Aufgabe ausführten .. beim
Feuerwechsel wurden fünf Terroristen
getötet.“ Colonel Roni Numa,
Kommandeur der Hahal-Brigade, zu der
die betroffenen Soldaten gehörten,
fügte hinzu: „Keiner von den
Getöteten war ein unschuldiger
Zuschauer: eindeutig, keiner von
ihnen.“ So weit das Kommuniqué. Und
hier sind die Fakten: vier der fünf
Getöteten trugen keinerlei Waffen
bei sich. Sie hatten auch keine
Verbindung zum Islamischen Jihad. Im
Gegensatz zu Colonel Numas Aussage
waren drei von ihnen zufällig in der
Nähe, also unschuldig. Anis Maarug
Abu Zina wurde tot geschossen, als
er in einem nahen Internetcafe am
Computer saß. Er war 16 Jahre alt
und hatte keine Verbindung zu
irgendeiner terroristischen
Organisation. Muhammad Tarek Othman
wurde erschossen, während der eine
Flasche Softgetränk trank, dass er
aus einem Automaten an der Ecke
gekauft hatte. Er war 19, Mitglied
von keiner Organisation. Muhammad
Hatib, 18 Jahre alt, war gerade auf
dem Heimweg, als ihn die Kugel traf.
Auch er hatte keine Verbindung zu
irgend einer Organisation. Majdi
Muhammad Atiya, der vierte
Todesfall, war ein Mitglied einer
Organisation – Tanzim, nicht Jihad –
und war im Augenblick seines Todes
unbewaffnet. Nur der fünfte –Adel
Abu Halil – war tatsächlich
bewaffnet und ein Mitglied des
Islamischen Jihad.
Hat die Armeesprecherin eine
Korrektur veröffentlicht oder eine
Entschuldigung für die falsche
Information geliefert? Natürlich
nicht. Auch Colonel Numa
entschuldigte sich nicht bei den
Eltern oder Familien der drei
Teenagers, die völlig unschuldig
getötet wurden, weil sie sich
zufällig in der Nähe befanden. Doch
warum sollte er so etwas tun?
2.Ein anderes Beispiel: Anfang
August kündete die Armee die
Liquidierung von Muayed Musa im Dorf
Shufa an. Angeblich verdient er
solch ein Ende, da er es gewesen
sei, der einen Selbstmordattentäter
nach Netanya befördert habe, wo er
sich und fünf Israelis in die Luft
gejagt habe. Da gab es sogar einen
(ziemlich peinlichen) ausführlichen
Artikel über den „Jäger“, der
Spitzname des Mayor Y. der
Grenzwachen-Spezialeinheit, die -
wie der Artikel stolz verkündigte –
schon 25 hochrangige Terroristen im
vergangenen Jahr liquidiert hatte.
Nachdem die Armee genaue Information
über die Örtlichkeit erhalten hatte,
wo sich der Mann aufhält, der den
Bomber transportiert hatte, wurde
dieser unerschrockene Kämpfer
aufgerufen, in Aktion zu treten; er
zog den Abzug seines Gewehres zum
26. Mal und fügte seiner Liste einen
weiteren Terroristen hinzu.
Die Beschreibung war voll
ruhmreicher Klischees: „ der Kämpfer
schlich sich vorsichtig heran... die
Soldaten bewegten sich schnell
vorwärts ... und dann machte Musa
eine kurze Bewegung, die sein Leben
besiegelte. Mayor Y. und ein anderer
Offizier eröffneten das Feuer und
töteten ihn auf der Stelle. So
endeten die meisten Begegnungen
zwischen dem „Jäger“ und einem
gesuchten Terroristen.“ Aber
irgendwie kam nur vier Tage später
diese „heroische“ Geschichte ans
Tageslicht, eine völlig neue
Geschichte. Es kam heraus, dass
nicht Muayed Musa den Netanya-Bomber
zu seinem schicksalhaften
Bestimmungsort gefahren hatte. Es
war, wie die IDF verkündete, jemand
ganz anderer: Muhammad Azem aus
Taibeh, einem arabischen Ort in
Israel. Er war nicht liquidiert,
sondern lebend verhaftet worden und
wartet nun auf seine
Gerichtsverhandlung. Auch dies wurde
als Erfolg gemeldet – wenn auch
weniger laut. Da gab es keinen
Hinweis auf die Diskrepanz; eifrige
Studenten der IDF-Kommuniqués
mussten schon selbst dahinterkommen.
Ich versuchte es und hier sind die
Ergebnisse und Folgerungen. Nun, zum
einen tötete der heroische „Jäger“
keinen „gesuchten Terroristen“. Er
tötete einen unbewaffneten Mann, der
nur mit der Unterwäsche bekleidet,
sich aus Angst in einen kleinen
Schrank in der Küche seines
Elternhauses gequetscht hatte. Mehr
als 80 Patronenhülsen wurden später
auf dem Küchenboden aufgesammelt.
Der Körper war – nach dem Foto
völlig zerrissen.
Also Muayed Musa hat niemanden
befördert und war kein Mitglied
einer Organisation. Er war ein
unbedeutender, kleiner Autodieb,
wofür er im israelischen Gefängnis
gesessen hatte und vor einem Jahr
entlassen worden war. Kurz vor dem
Netanya-Attentat wurde er gefragt,
ob er eine Person, die ihm als
Kollege – des Autodiebstahls –
vorgestellt wurde, eine Fahrt nach
Israel arrangieren könnte. Er
benützte seine alten Kontakte und
telefonierte mit Muhammad Azem. Das
ist die ganze Geschichte. Sie
entspricht nicht den
Erwartungen...Aber nur in Israel,
dem Land heroischer „Jäger“ und mit
einer ganzjährigen Jagdsaison, ist
es möglich, dass ein kleiner Dieb in
Schnelljustiz für das Verbrechen,
ein einziges Telefongespräch geführt
zu haben, die Todesstrafe erhält.
Korrigierte die IDF ihr früheres
Kommuniqué? Tatsächlich, sie
korrigierten es. Die neue Version:
Musa war „tief in das Bombenattentat
verstrickt“ und „ wurde getötet.
Weil er sich der Verhaftung
widersetzte ( ein unbewaffneter Mann
in Unterwäsche, in einem Schrank
gequetscht – „widerstand“ mehreren
professionellen „Jägern“, die bis zu
den Zähnen bewaffnet waren...)
Eine Sache ist noch wichtiger als
die Beschäftigung mit den äußerst
fehlerhaften Berichten der
PR-Abteilung der Armee. Dieser sog.
„Jäger“ müsste schnellstens
entlassen und ihm müsste eine
Behandlung für psychisch Kranke
angeboten werden; denn wie kann ein
Mensch psychisch gesund bleiben,
nachdem er 26 Liquidierungs-Aufträge
erfüllt hat?
(Aus dem Hebräischen: New Profile)
Übersetzt von: Ellen Rohlfs