NEIN zur Politik der Sanktionen und der
Aushungerung
JA zu Verhandlungen mit der Hamas-Regierung
Adam Keller, Bericht von der Rally am 3.Juni in Tel Aviv
Am Abend des
3. Juni wurde die breite Ibn Gvirol-Straße in Tel Aviv zu einem
stürmischen Fluss militanter Demonstranten, die des 39.
Jahrestag der Besatzung gedachten und gegen die Sanktionen und
die Belagerung Palästinas protestierten. Die bekanntesten
Gesichter auf den T-Shirts der Demonstranten waren die Gesichter
von Che Guevara, der vor vielen Jahren in Bolivien getötet
wurde, und von der Aktivistin Tali Fahima, die noch immer im
Ramla-Gefängnis einsitzt, weil sie das Verbrechen begangen hat,
sich für einen friedlichen Dialog mit Militanten im besetzten
Jenin engagiert hatte. Viele Teilnehmer trugen schwarze
Armbänder, um die „absolute Illegalität der Besatzung“ deutlich
zu machen und/oder die Opfer der Gewalt zu betrauern. Es gab
auch schwarze Fahnen, die dasselbe ausdrücken wollten oder
Anarchismus; es gab auch rote Flaggen der Kommunisten und
kleinerer Fraktionen, regenbogenfarbige der israelischen
Schwulen, bei denen viele Linke sind, die europäische
Friedensfahne mit einem etwas anderen Regenbogen und die runden
Gush Shalom-zwei-Staaten-Poster und einige palästinensische
Nationalflaggen, die von Arabern aus Galiläa mitgebracht wurden
und schließlich eine israelische Nationalflagge, die vom
Veteranen Naftali Raz getragen wurde, der darauf besteht, ein
stolzer Zionist zu sein, der aber ganz im Einklang mit der Demo
sei.
Das Singen
ist gut organisiert und laut. Meistens alte bevorzugte Slogans
mit einigen neuen Wendungen:“ Frieden – Ja! Besatzung – Nein!
Frieden – Ja!, Sanktionen –nein! Frieden – Ja!
Aushungern –
nein! Frieden – Ja! Strangulierung – Nein!“ „Weder Olmert
noch Bush – Nieder mit der Besatzung!“ „Besatzung ist Terror –
der Verweigerer ein Held!“ „Kinder Hungers sterben zu lassen,
ist der schlimmste Terrorismus!“ „Löst die Siedlungen auf! Reißt
die Mauer ein!“ (Einige radikale Jugendliche fügten hinzu: „Löst
die Armee auf und den Staat!“ Von allen Sprechchören war der
folgende der lauteste: „Peretz Hey, hey hey – how many Kids did
you kill today?“ (Wie viele Kinder hast du heute umgebracht?)
einige der Teilnehmer hatten tatsächlich in den Märzwahlen für
Peretz gestimmt oder es ernsthaft erwogen. (Sicherlich hatten
viele das Gefühl – vor nur einem halben Jahr – dass sein
überraschender Sieg bei den Laborwahlen auf einer Plattform
sozialer Gerechtigkeit frische Luft in die israelische Politik
bringen würde – und nun sieht man ihn vergnügt im
Verteidigungsministerium (das praktisch das Ministerium der
Besatzung ist) und massive Überfälle in palästinensische Orte
genehmigen und Bombardements und „gezielte Tötungen“ ... Bei
diesen zornigen Sprechchören spürte man, wie sehr man sich
persönlich betrogen fühlte, so wie es die Menge bisher gegenüber
keinem Minister empfunden hatte.
Als der
Demonstrationszug um die Ecke in den King Saul Boulevard einbog
und vorbei am Gebäude der Israelischen Oper zog, blickten gut
gekleidete Besucher überrascht auf die Rally. Der Museumsplatz
mit dem Kunstmuseum auf einer Seite liegt genau gegenüber dem
Chromturm des Verteidigungsministeriums, wo der eben erwähnte
Peretz mit seinen Generälen sitzt.
Die Stufen
der Stadtbücherei diente als Podium – das ersparte den
Organisatoren einige Tausend, die das Ausleihen eines Podiums
sonst gekostet hätte. Die beiden Moderatoren, Jana Kanapova und
Khulud Badawi – waren schon dort. Sie achteten peinlich darauf,
dass alle Ankündigungen und alle Vorreden der Redner auf
arabisch und hebräisch gesprochen wurden.
Die
Hauptrede hielt Shulamit Aloni, die legendäre Dame der Linken.
Man hat bei der Einführung sorgfältig darauf geachtet, sie nicht
als frühere Kultusministerin vorzustellen - denn das weiß ja
jeder – sondern als Preisträgerin des Israelischen
Bürgerrechtspreises.
Und wer eine
feurige Rede von ihr erwartet hatte, wurde nicht enttäuscht.
„Wie lange
dauert die Entartung des israelischen Besatzungsstaates noch
an? Um wie viel tiefer kann die Armee, die sich israelische
Verteidigungsarmee nennt, noch fallen ? Sie führt Akte des
Bombens, Tötens und Mordens aus. Wir haben verachtenswerte
Gesetze verabschiedet, die es der Armee erlauben, in den
besetzten Gebieten zu tun , was sie will, ohne je dafür
Entschädigung zahlen zu müssen. Es ist erlaubt, zu verletzen, zu
zerstören, zu foltern und zu töten. Es gibt keine Gerechtigkeit
und keinen Richter. Amir Peretz folgt auf dem Weg der
Kriegsverbrechen seiner Vorgänger. Vor drei Tagen sprach er bei
einer Shavuot-Feier über jüdische Gerechtigkeit und dem Konzept
von Liebe und der Sorge um den anderen. In Wirklichkeit sind
wir ein widerlicher Apartheidstaat geworden – alles was über
jüdische Gerechtigkeit gesagt wurde, ist zu Staub und Asche
geworden.
„ und nun
haben wir ein Gesetz, das Familienzusammenführung verbietet.
Einer meiner Juristenfreunde sagte zu mir, dass diese Leute doch
aus einem „feindlichen Lande“ kämen. Ein Feindesland? Wer
regierte dort während der letzten 40 Jahre? Wem ist das Land
gestohlen worden und das Wasser und wem wurden die Städte und
die Dörfer zu Gefängnislagern gemacht? Alles ist erlaubt, weil
es „keinen Partner gibt“ . Aber da hat es nie einen Partner
gegeben. Arafat war kein Partner, Abu Mazen war kein Partner und
natürlich ist die Hamas auch kein Partner.
Doch lasst
es mich klar sagen, meine Freunde: es gibt einen
Gesprächspartner und wir sollten mit ihm reden. Dort drüben ist
eine demokratisch gewählte Regierung. Ich will Euch ein
Geheimnis verraten: wir hatten viele demokratisch gewählte
Regierungen hier in Israel, über die ich keineswegs begeistert
war, einige, die ich wirklich nicht wollte. Aber trotzdem – sie
waren demokratisch gewählte Regierungen. Wenn der Staat Israel
Frieden will – und ich habe meine Zweifel, ob er das tatsächlich
will – dann müsste er wissen, dass es dort unter den
Palästinensern jemanden gibt, mit dem man reden soll – und es
ist dringend notwendig.“
„ Die
palästinensische Pädagogin Terry Boullata, Rektorin der Schule
in Abu Dis, brachte Grüße von der gleichzeitig stattfindenden
Rally von Tausenden von Palästinensern am Manara-Platz mitten in
Ramallah - dem selben Platz, auf dem die IDF vor einer Woche
vier palästinensische Demonstranten erschossen hat. Boullata,
deren eigener Schulhof von der „Trennungsmauer“ geteilt worden
ist, sagt:
„ In meiner
Schule organisierten wir am Ende des Schuljahres eine Feier für
die Kinder, die ihr ganzes Leben im Schatten der Mauer und des
Zaunes verbringen. Ich hoffe, dass wir alle, Israelis und
Palästinenser zusammen eines Tages das Vergnügen haben werden,
die Mauer und den Zaun niederzureißen. Ich bin hierher gekommen,
um für ein Ende der Belagerung und des Boykottes gegen mein
Volk aufzurufen.
Als 1977 die
Likud gewählt wurde und so zur Macht in Israel kam – hat sich
damals die Welt aufgeregt? War jemand auf die Idee gekommen, das
israelische Volk für seine demokratische Wahl zu strafen?
Natürlich nicht. Unser Präsident Abu Mazen hat ein Referendum
vorgeschlagen, um eine palästinensische Konsensposition für
Frieden vorzuschlagen. Aber das ist nicht das, was die Olmert
-Regierung wünscht.
Die
israelische Regierung will einseitig handeln, um das
auszuführen, was sie Konvergenz nennt, um zusätzliche Gebiete zu
annektieren. Sie will weitere Gebiete annektieren, auf denen
Siedler auf dem Land meines Volkes leben. Ihr Israelis wollt
Sicherheit. Auch ich wünsche mir für meine Kinder Sicherheit.
Lasst mich euch sagen, dass nach einseitigen Aktionen keine
Sicherheit bekommt. Wenn Ihr die Zweistaatenlösung nicht jetzt
erfüllt, wenn Ihr die Palästinenser in 20 Gettos einsperrt,
werdet Ihr weder Frieden noch Sicherheit erhalten. Ihr werdet
die Sicherheit nur durch Verhandlungen erhalten und durch die
Errichtung von 2-Staaten, die sich auf die Grenze von vor 1967
gründen.“
Es gab dann
auch Aufrufe zur Unterstützung für drei Refusniks, die wegen
ihrer Verweigerung in der Besatzungsarmee zu dienen, im
Gefängnis sind. Der bekannte Protestsänger und
Protestliedermacher Zeew Tene sang sein Lied vor einem kleinen
Jungen: „Magst du niemals in die Armee kommen....“ Und die
arabische Rap-Sängergruppe von Tamer Nafar aus Lydda und
Ramleh drückte in einem bitteren und ironischen Dialog aus, wie
man sich „wie ein Fremder in seiner eigenen Heimat fühlt“.
Grüße von
der Dorfbewohnern aus Bilin wurden verlesen, die gegen den Bau
der Mauer und für ihr Land kämpfen und von gleichzeitigen
Rallies und Versammlungen in den USA, Kanada, England,
Frankreich und Deutschland. Alle riefen ihre Regierungen und die
internationale Gemeinschaft dazu auf, den Boykott und das
finanzielle Embargo gegen das palästinensische Volk zu beenden
.
Der
Schriftsteller Salman Natour, aus Daliat el Karmel am Hang des
Karmelgebirges sagte: „Wir dachten, dass wir zum ersten Mal
einen zivilen Verteidigungsminister hätten. Wir dachten, wir
hätten jemanden, der nicht einfach aus dem Panzer klettert, der
aus einem armen Stadtviertel kommt, von einer Demonstration und
einem Streik. Aber wir erhielten einen Verteidigungsminister,
der hinter Generälen und Admiralen daherhinkt und ihren Spuren
folgt, um einen Mord nach dem anderen zu autorisieren. Für Amir
Peretz ist es nur ein technisches Problem, wo in Gaza die Bombe
hinfällt. So wie es nur ein technisches Problem ist, wenn die
Qassam-Rakete nur das Nachbarhaus trifft und nicht Amir Peretz
eigenes in Sderot. Das Wichtigste aber ist, dass wir mit unsern
Nachbar reden müssen, um diesen blutigen Konflikt zu lösen.“
„Sagt nicht,
Ihr hättet nichts gewusst!“ donnerte Yehuda Shenhav, Professor
an der Tel Aviver Universität und alter Aktivist für soziale
Gerechtigkeit. „Sagt nicht, Ihr hättest nichts von den
Kriegsverbrechen gewusst, die in unserm eigenen Hinterhof
begangen werden. Ohne Gerichtsverhandlungen finden Exekutionen
statt. Alte und Kranke werden an den Kontrollpunkten auf dem
Weg ins Krankenhaus festgehalten; unsere Steuern werden dazu
benützt, die Besatzung aufrecht zu erhalten und für den
Siedlungs- und den Mauerbau, während unsere Armen immer tiefer
im Elend und Schmutz versinken .
Unsere
Gelehrten, Richter des Obersten Gerichthofes, Akademiker,
Dichter und Schriftsteller sind moralisch und ideologisch
korrupt geworden, opportunistisch passen sie sich der Besatzung
an. Es ist an der Zeit, den Vorhang der Heuchelei wegzuziehen.
Ein palästinensischer Staat muss in den Grenzen von 1967
geschaffen werden – ein echter, souveräner Staat, nicht ein
israelisches Protektorat . Ein Staat, der wie Schweizer Käse
aussieht und voller Löcher und Abgründe ist, hat keinen Sinn.
Der wird keinen Frieden bringen.“ Shenhav endete seine Rede und
wiederholte mehrfach: Redet mit Hamas jetzt! Redet mit Hamas
jetzt!“ Tausende von Stimmen in der Menge wiederholten diesen
Ruf.
„Die
zornigen Großmütter“ waren ein sagenhafter Erfolg bei den
Zuhörern. Sie sind eine ursprüngliche Idee der
US-Friedensgruppen, die große Nachahmung in Israel gefunden hat:
Respektable
Matronen, die nicht behaupten, professionell zu singen,
übernahmen bekannte Melodien und legten ihnen neue bissige und
aktuelle Texte unter: z-B.
„Gibt es
eine Mauer in Jericho, Jericho, Jericho? Gibt es eine Mauer in
Jericho? Nein.
Aber es gibt
eine Mauer in Mesha, Bidu und Bilin –
Es gibt eine
Mauer in Kalkilia, Abu Dis und Yajous.
Gibt es eine
Mauer in Jericho? Nicht mehr.“
Andere
Rallys mögen mit der Nationalhymne enden, hier kam die Sängerin
Tal Haran zur Bühne und sang ein altes Lied von Saul
Tchernihovsky, ein der zionistischen Bewegung wohlbekannter
Dichter. Das Lied stammt aus der dunkeln Zeit der späten 30er
Jahre und gehört in allen israelischen Schulen zur
Pflichtlektüre. Es bekam eine neue Bedeutung; denn die Strophen
waren einmal hebräisch und einmal arabisch:
Lacht mich
aus! Lacht über meine Träume! Lacht, denn ich glaube noch immer
an Menschlichkeit, denn ich glaube immer noch an euch; denn ich
glaube an die Zukunft, auch wenn sie weit ist, wenn auch mein
Volk die Freiheit kennt, dann wird eine Generation aufwachsen
und die eisernen Fesseln zerreißen...“ Dann brach sie plötzlich
ab und schrie mit lauter, durchdringender Stimme : „Schluss mit
der Besatzung!!“
Viele
Gruppen hatten sich dieser Rally angeschlossen und machten sie
zum Erfolg. Sie war initiiert worden von der Frauen-Koalition
für Frieden, der sich Gush Shalom anschloss, Ta’ayush, Hadash
(demokratische Front für Frieden und Gleichheit, die sich auf
die kommunistische Partei gründet) Balad (National demokratische
Versammlung) Banki (Israelische kommunistische Jugend); das
Alternative Informationszentrum, Studentenkoalition –Tel Aviver
Universität, das israelische Komitee gegen Hauszerstörung, der
Campus schweigt nicht; Künstler gegen die Mauer; Unsere Farben
(stolze Jugend von Meretz,) Machsom Watch, Bat Shalom, New
Profile und Yesh Gvul ( Man verzeihe uns, wenn wir jemanden
versehentlich vergessen haben.)
Die
parallele palästinensische Rally war organisiert von einer
Koalition der Parteien und ziviler Organisationen: Fatah,
Palästinensische Volkspartei, Fida, die Demokratische Front, die
PLO u.a..
Am 10. Juni
soll ein Convoy mit Lebensmitteln und Medikamenten nach Nablus
gehen. Die Ärzte für Menschenrechte, Gush Shalom und medico
international hatten dafür um Spenden aufgerufen.
(dt. Ellen
Rohlfs) |