Wie Israelis nicht zur Kenntnis nehmen wollen, wie Palästinenser
behandelt werden
(Israels’ state of denial over treatment of Palestinians)
Yitzhak Laor
Israelis lieben Militärgeheimnisse.
Bücher von Geheimdienstleuten im Ruhestand, früheren Spionen und
früheren Mitgliedern des Shin Bet und Mossad verkaufen sich gut.
Eine ganze Kultur ist rund um „ worüber-darf-nicht-gesprochen-werden“
und „wir-wollen-es-trotzdem- wissen“ gebaut worden. Nicht nur
Geschichten aus der Vergangenheit – z.B. wie der „Rote Prinz“ (Ali
Hassan Salameh vom Schwarzen September) 1979 in Beirut ermordet
wurde, aber auch die Dubai-Affäre, die ein ausgezeichnetes Beispiel
dafür ist, wie die Öffentlichkeit Nachrichten wissen, hören, sehen
und konsumieren will. Selbst ein Misserfolg ist für die
Öffentlichkeit von Interesse, und die Sache hat sogar eine
moralische Unterstützung. Diese moralische Unterstützung läuft
parallel mit dem Wunsch zu wissen: „Auch wenn wir ihn nicht getötet
haben, verdient er es zu sterben,“ sagte man im Fernsehen.
Da gibt es allerdings eine Sache, die
die Öffentlichkeit oder – vorsichtiger ausgedrückt - der größte Teil
der Öffentlichkeit nicht wissen will, und wir sprechen nicht von
einem militärischen Geheimnis. Eine vor zwei Wochen vom
Tami-Steinmetz-Zentrum für Friedensforschung durchgeführte Umfrage,
die in Haaretz veröffentlicht wurde, berührte das Problem: das
einzige, was die Öffentlichkeit nicht zu hören wünscht, ist die
Unterdrückung der Palästinenser. Dies ist keine Sache von
Geheimnis-halten, sondern Leugnung.
Es ist zweifelhaft, ob dazu eine
Umfrage nötig ist. Es genügt, die Nachrichten im kommerziellen
Fernsehen anzusehen, um dies zu verstehen, nämlich, dass „es sich
nicht verkauft“. Aber die Angelegenheit ist viel schwerwiegender.
Was in den (besetzten ) Gebieten geschieht, ist ein Tabu. Nicht nur,
dass die Leute nichts wissen wollen, weil es da etwas zu erfahren
gibt (sonst würden die Leute sich nicht weigern, es zu erfahren) -
die Armee ist die einzige legitime Quelle der Informationen über
Ereignisse in den ( besetzten) Gebieten.
Aber die Armee lügt, um es milde
auszudrücken. Die Ausdrucksweise, die sie benützt, um das Schießen
auf gewaltfreie palästinensische Demonstranten zu beschreiben, ist
immer mit Euphemismen geladen, und die Notwendigkeit, etwas zu
erklären, ergibt sich nur, wenn Organisationen wie B’tselem Bilder
veröffentlichen, auf denen z.B. gesehen werden kann, wie Siedler
das Feuer eröffnen und die Armee keinen Finger rührt. Das ist ein
Beispiel der Art von Dingen, die Israelis nicht wissen wollen.
Die Gebiete sind weit weg. Die
Palästinenser leben weit weg. Diese Halluzination geschieht dank der
Mauern und Zäune, dank der Apartheidstraßen, dank der Armee und der
TV-Nachrichten. „Judäa und Samaria“ sind nah. Die Siedler leben
unter uns. Es gibt Fotografien von ihnen, ihre Häuser werden
fotografiert. Sie sind in der Armee. Sie sind die Armee. Aber die
Trennung zwischen denen, die sehr nah sind, die das Wahlrecht,
Waffen, Rechte und staatliche Unterstützung haben und jenen, die in
der selben physischen Entfernung leben, aber auf der andern Seite
der Mauern, Zäune, Straßensperren weit weg gelassen werden – diese
Trennung wird mit Hilfe des Nicht-wissen-wollens gemacht. Der
Leugnung.
Menschenrechtsorganisationen werden
verfolgt – nichts ist einfacher als das – exakt im Namen der
Verweigerung, es wissen zu wollen. „Es ist verboten, es zu wissen“
heißt, dass es für unser Gewissen verboten ist, sich frei unter den
Tatsachen, den Szenen, den Stimmen, den Optionen zu bewegen. All
dieses umfasst angeblich das Bewusstsein des Israeli, der nur fünf
Minuten von diesen unvorstellbaren Dingen entfernt lebt – von 43
Jahren militärischer Diktatur über ein anderes Volk.
Die Sicherheitsbehauptungen erscheinen
durch die entgegengesetzten Behauptungen klein – dass die
Sicherheitssituation eine Funktion der Enterbung ( der Palästinenser
) ist, der Kontrolle ihrer natürlichen Ressourcen und der nie
endenden Einschränkungen ihrer Lebensweise. Aber die andere
Behauptung kann in keiner Weise mit der israelischen Weise zu denken
konkurrieren: wir sind hier und sie sind nicht hier. Die einzige
Freiheit ist, die Freiheit zu sein und auszulöschen, was Zweifel
über die Sicherheit des Wissens hervorruft, die das leugnet.
Als der Direktor der Ironi Aleph Schule
in Tel Aviv seine Lehrer zu den Straßensperren mitnehmen wollte,
damit sie diese einmal sehen, griffen sie ihn ärgerlich an und
verlangten, dass er verhört werde. Die wenigen Prophezeiungen von
Karl Marx, die wahr geworden sind, schloss eine ein, über die er in
einem kurzen Artikel 1870 schrieb:
„Die Nation, die eine andere Nation
unterdrückt, schmiedet ihre eigenen Ketten.“ Es gibt keinen
besseren historischen Augenblick, der diese Prophezeiung
demonstriert als der Augenblick, in dem wir jetzt leben.“
( dt. Ellen Rohlfs)
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