Anläufe, Aufschübe und Schecks für die Zukunft
von Reiner
Bernstein
In Israel ist am 28.
März der Gesetzentwurf für ein Referendum gescheitert, und einen Tag
später hat die Knesset den Haushaltsplan 2005 mit einem Volumen von
umgerechnet rund 47,35 Milliarden Euro passieren lassen. Sharon habe
auf der ganzen Linie gesiegt, lautet das allgemeine Echo. Seine
monatelange Hartnäckigkeit gegenüber der innerparteilichen
Opposition und der radikalen Siedlerbewegung mit ihren vielen
zehntausend Sympathisanten habe sich ausgezahlt. In wenigen Tagen
geht das Parlament in die Pessach-Ferien, und zwischen August bis
Oktober herrscht Sommerpause. Frühestens in sechs Monaten können die
Gegner der Abkoppelungspläne einen neuen parlamentarischen Anlauf
nehmen.
Solche saisonalen
Vorgaben werden den Kampf um die Siedlungen im Gazastreifen und im
Norden der Westbank nicht aufhalten; der „heiße Sommer“ ist bereits
angekündigt. Hatten sich in der Vergangenheit zahlreiche Politiker –
mit Shimon Peres an der Spitze – um das Copyright für einen Abzug
aus Gaza beworben, so ist die Zukunft jenes 365 Quadratkilometer
großen Küstenstreifens längst zur politisch-ideologischen
Scheidemünze avanciert. Während die einen mit ihrem Protest das Ende
des gesamten Siedlungsprojekts verhindern wollen, erwarten die
anderen eine unwiderstehliche Rückzugsdynamik, welche schließlich
die gesamte Westbank und Ost-Jerusalem erfassen werde. Doch beiden
Seiten fehlt der Schlüssel zum Erfolg. Dazwischen spielen sich
erstaunliche Debatten ab. Siedlerfamilien wollen ihre Häuser
aufgeben und nach Israel zurückkehren, andere sind bereit, die
israelische zugunsten einer noch in den Sternen stehenden
palästinensischen Staatsbürgerschaft aufzugeben – „Land Israel ist
wichtiger als Staat Israel“ –, dritte kündigen eine Selbstmordwelle
an.
Der Premier sei
seinem bekannten Hyperpragmatismus treu geblieben, ideologische
Grundsätze seien ihm zuwider, heißt es, selbst wenn er dafür den
Preis wechselnder Stimmenmehrheiten bezahlen müsse. Andere
Kommentatoren verweisen darauf, dass Sharon im Scheitel der jüngsten
innenpolitischen Konfrontation und trotz der kritischen Begleitmusik
aus Washington auf den Bau eines Korridors mit 350.000 neuen
Wohneinheiten zwischen der 40.000 großen Stadt Maaleh Adumim
und Jerusalem drängt und bis zum endgültigen Frieden keine weitere
Siedlung evakuieren will. Die Ergebnisse des von ihm in Auftrag
gegebenen Untersuchungsberichts, der in der vergangenen Woche den
Ministerien, dem Militär und zahlreichen Ämtern eine den Gesetzen
hohnsprechende Arbeitsteilung beim Bau und bei der Förderung der
Siedlungen bescheinigte, belastet Sharon mit Vorwurf, an diesem „Eliten-Illegalismus“
(Ehud Sprinzak) kräftigen Anteil zu haben. Seinem Realitätssinn sind
enge Grenzen gesetzt.
Der wohl
erstaunlichste Begleitumstand der Abstimmungen in dieser Woche war
das gespaltene Votum der „Sefardischen Torawächter (Shas)“: mit
Sharon gegen das Referendum, gegen Sharon beim Haushaltsgesetz. Wie
dies? mag man fragen. Galten sie nicht – und zwar im Gegensatz zur
zerfallenden Nationalreligiösen Partei – als ein geschlossener
Block, auf den die Siedlerbewegung bauen kann? Doch „Shas“ legte
wieder einmal jene Einstellung an den Tag, die schon in den
neunziger Jahren zu beobachten war: Als sich herausstellte, dass der
Referendumsantrag scheitern würde, schlug sich die Partei auf die
Seite der Sieger. Ohne ihren theologischem Führungsanspruch
aufzugeben, schreckte sie davor zurück, die realen Machtverhältnisse
zu missachten. Man dürfe, so die Logik, die Bevölkerungsmehrheit
nicht übermäßig herausfordern.
Bei den
Palästinensern bleiben die israelischen Absichten, den
„Trennungszaun“ zu vollenden, die drei Siedlungsblöcke zu verstärken
und Ost-Jerusalem weiter zu judaisieren – allein im Moslemischen
Viertel sollen etwa tausend Juden leben – nicht ohne Resonanz. Im
Juli stehen Parlamentswahlen an. Bis dahin muss Machmud Abbas
politische Fortschritte vorweisen können, die sein Programm der
Gewaltlosigkeit im Kampf gegen die Okkupation rechtfertigen. In
Kairo ist es dem Präsidenten der Autonomiebehörde zwar gelungen, die
islamistischen Verbände auf einen vorläufigen Waffenstillstand gegen
israelische Ziele einzuschwören, doch parallel dazu spielt sich ein
erbittertes Kräftemessen ab. Sollte sich „Hamas“ tatsächlich zur
Wahl stellen, könnte sie in eine parlamentarische Sperrminorität
hineinwachsen.
Die Konsequenzen
wären beträchtlich. Denn „Fatah“ durchmisst gegenwärtig eine schwere
interne Vertrauenskrise zwischen den politischen Ansprüchen
einzelner Flügel, die sich nicht auf einen Zweikampf zwischen
„junger“ und „alter Garde“ verkürzen lässt. Die Abhaltung von „Primaries“
für die Kandidatenkür mag man als Beleg demokratischer Reife werten,
die sich von Arafats autokratischem Regime wohltuend unterscheidet,
aber der Ausgang würde auch Risiken in sich bergen, die vor allem
mit der schweren Berechenbarkeit der israelischen Politik
zusammenhängen. Der Ausbruch neuer Gewalttätigkeiten ist nicht
gebannt.
Ein israelischer
Kommentator hat daran erinnert, dass die israelische Politik von der
Relativitätstheorie regiert werde: Was heute unumstößliche
Gewissheit zu sein scheine, sei morgen längst überholt. Immer wieder
wird in diesen Tagen auf den Brief von George W. Bush an Ariel
Sharon im April 2004 hingewiesen, in dem sich Washington
einverstanden erklärte, dass Israel territoriale Annexionen geltend
machen könne. Es ist zu früh, die Reise des Premiers nach Texas am
14. April als einen einzigartigen Triumphzug zu prognostizieren. Die
Palästinenser hoffen, dass sich die harte Hand von Condoleezza Rice
gegen den oftmals hilflos wirkenden Präsidenten durchsetzt. In jeden
Fall steht die Außenministerin vor einer Bewährungsprobe, an der
ihre künftige Glaubwürdigkeit in der Region hängt.
Abgeschlossen 30.03.2005
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