Die
Tempel der Besatzung
Meron
Benvenisti, Haaretz, 28.12.06
Von den Dutzenden von Checkpoints,
die als „wohlwollende Geste“ mit einem Versprechen gegenüber Mahmoud
Abbas, aufgelöst werden sollen, ist kein einziger abgebaut worden.
Es wird interessant sein, mit
welcher Entschuldigung man kommen wird, wenn sich das Wetter gebessert
hat. Der Plan, die Straßensperren abzubauen, verzögerte sich aus
verschiedenen Gründen, und inzwischen hat sich die Anzahl vervielfacht.
Wir können mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass der neueste Versuch,
das Leben der Palästinenser zu erleichtern, genau wie seine Vorgänger
fehlschlägt, weil die Herrschaft der Straßensperren keine Angelegenheit
einer marginalen Geste ist, noch ein Sache der Quantität, deren
Reduzierung wahrscheinlich eine Änderung der herrschenden Situation in
den besetzten Gebieten signalisierten würde. Stattdessen stellen die
Straßensperren die Grundlage israelischer Kontrolle der Westbank dar.
Sie erfüllen drei wichtige Rollen: eine symbolische, eine
geo-strategische und eine sozio-politische. Wenn also jemand behauptet,
sie hätten nur etwas mit der taktischen Sicherheit oder mit den
Siedlungen zu tun, dann hat derjenige ihre andere wichtige Bedeutung
nicht erkannt.
In dieser Hinsicht halten die
IDF-Offiziere, die jede Bemühung, Hindernisse wegzuräumen, sabotieren,
eher an der israelischen Grundvorstellung fest, als der
Ministerpräsident und der Verteidigungsminister, die die Straßensperren
als kurzfristige politische Mittel benützen. Die hunderten permanenten
und fliegenden Straßensperren, die aufgebauten und improvisierten, die
Zementblöcke und Drehtore, die Erdhügel und die Gräben sollen nur einem
Zweck dienen: zu zeigen, wer hier die Macht hat, um das Leben der
Palästinenser zu kontrollieren. Kleine Gruppen unerfahrener und
ängstlicher Soldaten dienen als Agenten der Macht, die Millionen
Menschen zwingen, sich nach den willkürlichen Regeln zu benehmen, die
das normale Alltagsleben zerstörend unterbricht. Diese Herrschaft wird
zum größten Teil ohne notwendige Gewalt ausgeführt, indem man einfach
nur die Angst der Palästinenser ausnützt.
Die Verachtung gegenüber den
Palästinensern und die arrogante Anwendung einer Mentalität der
Unterwerfung wird nicht nur durch die Straßensperren als solche
deutlich, sondern auch durch die Art der Kontrollen, die ohne jede
Sensibilität gegenüber der Würde und den Bedürfnissen der Palästinenser
durchgeführt wird, von denen man erwartet, dass sie schweigend in einer
Reihe stehen oder „bestraft“ werden. Koloniale Regime gründeten sich
immer auf die Arroganz einer kleinen Anzahl von Soldaten, die das Leben
von Millionen von Eingeborenen mit minimaler Kraft und Abschreckung
kontrollierten. So wurde der minderwertige Status jener garantiert, die
sich ihrer Autorität zu unterwerfen haben.
Die Israelis haben das koloniale
System verbessert: anstelle von militärischen Besatzungskräften, die das
Leben der Eingeborenen in den Dörfern und Städten auf täglicher Basis
diktieren, zwingen sie ihnen ein indirektes Regime der Gefangenschaft
auf, indem sie sie einzäunen bzw. einmauern und ihren Alltag
unterbrechen. Hier missbraucht der Herrscher nicht ihren Raum – sie sind
aber gezwungen, sich mit ihm in den „Tempeln der Besatzung“, den
Straßensperren, auseinander zusetzen. Und solange sie sich an die ihnen
auferlegten Regeln halten, ist sich der Besatzer seines Status’ sicher.
Die Straßensperren sind
erstklassiges Hilfsmittel geostrategischer Art: sie institutionalisieren
die Enteignung des physischen Raumes und der öffentlichen Infrastruktur
der Westbank und seiner Übertragung zur ausschließlichen Nutzung für
Israelis. Eine Karte mit den hunderten von Straßensperren auf
palästinensisch bevölkertem Gebiet macht die physische Teilung der
Westbank deutlich: die Gebiete westlich des Trennungszaunes sind de
facto schon annektiert worden, das Jordantal ist von seiner Umgebung
abgeschnitten worden. Es bleiben noch 10 Enklaven von Jenin im Norden
bis zum Bergland von Hebron im Süden.
Die Erdwälle und die Zementblöcke,
die scheinbar willkürlich verteilt sind, stellen tatsächlich ein
geostrategisches System dar. Deshalb würde eine „Entfernung“ mehrerer
solcher Erdwälle oder Hindernisse die Gefahr in sich bergen, das
sorgfältig geplante System zu gefährden. Und jene, die glauben, dass
„die Ideologie von Großisrael schon beiseite gelegt worden sei“, sollte
begreifen, dass die Straßensperren die Enteignung der Westbank auch ohne
Annexion symbolisieren, wenn auch mit der zusätzlichen Schaffung
palästinensischer „Reservate“. Die geographische Teilung hat das
palästinensische Volk in schwache und verarmte Neben-Gemeinden
aufgeteilt, wo die Zentren von ihrer Umgebung abgetrennt sind, die
städtischen Zentren erodieren und die ländlichen Gebiete verarmen,
Familien getrennt werden und medizinische Versorgung genau wie der
Zugang zu höherer Bildung wegfallen. Diese Teilung wird in der Hoffnung
deshalb durchgeführt, dass die politische und soziale Belagerung in
eine solch demographische Notlage und schließlich zur Auswanderung
führt.
Die Planer des
Straßensperrenregimes gaben sich bei der Planung und Ausführung des
Systems große Mühe, hatten sich aber anscheinend in der Einschätzung der
Auswirkung ihrer Methode geirrt. Die palästinensische Gesellschaft weist
einen starken Zusammenhalt auf und eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit
an die grausamen Lebensbedingungen, die ihnen auferlegt worden sind. Es
gibt keine Anzeichen, dass die strategischen Ziele tatsächlich erreicht
worden sind. Deshalb meinen die Planer, sie müssten die Anzahl der
Straßensperren jedes Jahr erhöhen. Es sind bereits 522 – ein Hindernis
pro 3500 Palästinenser. Jeder der ernsthaft diesen Marsch der
Wahnsinnigen zu stoppen wünscht – da auch die begrenzte Nützlichkeit der
Straßensperren in puncto Sicherheit bezweifelt wird und der Schaden für
jeden offensichtlich ist – der müsste den Abbau derjenigen
Straßensperren befehlen, die nicht an den Grenzen zum eigentlichen
Herrschaftsgebiet Israels liegen. Er sollte den Machenschaften der
Armeeoffiziere nicht nachgeben.
(dt. Ellen Rohlfs) |