Das
große Zwinkern
Uri Avnery, 8.4.06
„Nähere dich und gib dich zu erkennen!“ ruft der Rekrut
auf Wachposten, als er jemanden sich nähern hört.
„Feldwebel Johns!“ kommt als Antwort.
„Nähere dich und gib dich zu erkennen!“ ruft der
Wachposten noch einmal. „Ich sagte dir doch schon, ich
bin Feldwebel Johns!“ kommt als Antwort.
„Nähere dich und gib dich zu erkennen!“ ruft der
Wachposten zum 3. Mal. „Was glaubst du denn, was du
tust, du Idiot!“ schreit der Feldwebel.
„Das
ist der Befehl, den ich erhielt,“ antwortet der Rekrut,
„dreimal zu rufen: Nähere dich und gib dich zu erkennen
– und dann zu schießen.“
Dies
ist ein alter, britischer Armeewitz. Dies ist zufällig
auch das Programm der sich jetzt bildenden Regierung in
Israel.
Jede israelische Regierung
muss „Grundlegende Richtlinien“ haben. Sie sind zwar
nicht verpflichtend und alle unsere Regierungen haben
ihre „Grundlegenden Richtlinien“ bei vielen
Gelegenheiten verletzt. Aber die Tradition und die gute
Sitte verlangt, dass es „Grundlegende Richtlinien“ gibt
und dass sie auf den Tisch der Knesset gelegt werden,
zusammen mit den Koalitonsabkommen, die die Teilung der
Beute ausführlich darlegen, was wirklich wichtig ist.
Das
wirkliche Ziel der „Grundlegenden Richtlinien“ ist,
diejenigen zu locken, die der Ministerpräsident in
seiner Regierung haben will, und alle anderen
zurückzuweisen.
Ein
wahrer Führer will eine Koalition aufstellen, die es ihm
möglich macht, seine Vision umzusetzen. Ein
Ministerpräsident jedoch, der ein Politiker ist – und
nichts als ein Politiker – ist einfach an einer
Koalition interessiert, die ihm selbst das Leben
leichter macht.
Ehud
Olmert gehört zur zweiten Sorte. Er möchte in der Mitte
des Bettes liegen zwischen einem rechten und einem
linken Partner, möglichst von gleicher Größe. Das würde
ihn mit einer stabilen Regierung ausstatten. Wenn es um
eine „linke“ Sache geht, wird er mit den Ministern
seiner Partei zusammen mit den linken Ministern – ohne
ihre rechten Kollegen - eine Mehrheit im Kabinett
haben; wenn es um eine „rechte“ Agenda geht, wird er –
ohne die Linken – eine Mehrheit haben. Das ist einfache
Logik.
Momentan ist es noch eine einfache Angelegenheit. Der
linke Partner wird Labor sein (wahrscheinlich mit 6
Ministern), der rechte Partner wird sich zusammensetzen
aus Shas, den Orthodoxen und der Liebermann-Partei
(zusammen wahrscheinlich 7 Minister). Die Rentnerpartei
(wahrscheinlich 2 Minister) wird in der Mitte sein. Die
Kadima-Minister (wahrscheinlich 10) werden eine
Majorität in der Regierung bilden können, manchmal mit
den Rechten, manchmal mit den Linken. Olmert hofft,
dass ihm dies das Leben für die ganze Amtsperiode der
neuen Knesset bis November 2010 leichter machen wird.
Die
„Grundlegenden Richtlinien“ reflektieren dieses Ziel.
Sie müssen es für Amir Peretz, Eli Yishai und Avigdor
Lieberman möglich machen, sich der Regierung
anzuschließen, die wirkliche Linke, extreme religiöse
Fundamentalisten und perfekte Faschisten einschließt.
Nicht einmal der Prophet Jesaja wagte so etwas zu
träumen. Er wäre zufrieden gewesen, wenn der Wolf
friedlich neben dem Lamm gelegen hätte.
Jesaja wusste, dass seine
Vision erst nach der Ankunft des Messias wahr werden
könnte. Olmert, weit davon entfernt, ein Messias zu
sein, ist nur ein kluger Politiker. Er muss ohne
göttliche Intervention auskommen.
Lieberman wünscht, dass Israel frei von Arabern ist
– er wünscht, Israel araber-rein zu machen. Zu diesem
Zweck ist er bereit, ganze Gebiete Israels, die von
arabischen Bürgern bewohnt sind, aufzugeben, und als
Gegenleistung lange Strecken der Westbank zu
annektieren. Im Gegensatz dazu, wünscht Amir Peretz für
die arabischen Bürger Israels die volle Gleichheit.
Peretz möchte mit der palästinensischen Behörde
Verhandlungen führen - Lieberman möchte sie zerstören.
Die Orthodoxen verlangen vom Staat den Unterhalt für
Zehntausende von Yeshiva- (religiöse Seminare)
Studenten, die überhaupt nicht arbeiten wollen. Labor
will den Lohn der produktiven Arbeiter erhöhen. Und so
weiter. Und Olmert selbst wünscht natürlich, seinen
„Plan des Zusammenlegens“* zu verwirklichen; das
bedeutet, dass Israel „einseitig“ seine „permanenten
Grenzen“ festsetzt – ohne Abkommen und Partnerschaft mit
den Palästinensern.
Was
also tun? Man muss die Grundlegenden Richtlinien so
zusammenflicken, dass jeder damit einverstanden sein
kann. Unmöglich? Im Gegenteil. Nichts ist einfacher. Man
braucht nur einen guten Anwalt – und von denen haben
wir jede Menge.
In
den Grundlegenden Richtlinien wird der „Plan des
Zusammenlegens“ nicht erwähnt, auch das Wort
„einseitig“ wird nicht auftauchen. Man wird sagen, dass
die Regierung nach der Rede handeln werde, die Olmert
nach dem Schließen der Wahllokale am Wahltag gehalten
hat. Das wird vermutlich jeden zufrieden stellen.
Es gibt drei Lager in Israel:
(a)
Diejenigen, die wirklich mit den Palästinensern
verhandeln wollen, um die Zwei-Staaten-Lösung zu
realisieren.
(b)
Diejenigen, die einen „einseitigen“ Rückzug wünschen, um
Teile der Westbank zu annektieren und die restlichen
Teile den Palästinensern zu überlassen, nachdem dort die
Siedlungen aufgelöst wurden.
(c)
Diejenigen, die solch einen „einseitigen“ Rückzug unter
dem Vorwand ablehnen, den Palästinensern werde Land
gegeben, ohne selbst etwas dafür geben zu müssen. Das
heißt nicht, dass sie mit den Palästinensern
tatsächlich ein Abkommen erreichen wollen, sondern im
Gegenteil: sie wollen jede Rückgabe von Land verhindern.
Amir
Peretz gehört zum ersten Lager, Olmert zum zweiten,
Lieberman und Shas zum dritten.
Die
Grundlegenden Richtlinien sollen sie alle zufrieden
stellen.
Wie
denn? Die Antwort liegt im britischen Witz.
Die
Grundlegenden Richtlinien wollen sagen, dass Israel
zunächst die Palästinenser aufrufen wird, Frieden zu
machen, der sich auf der Zwei-Staaten-Lösung gründet.
Erst nachdem klar wird, dass es keinen Partner für solch
einen Frieden gibt, wird Israel sein Schicksal in die
eigenen Hände nehmen (d.h. die Grenzen einseitig
festlegen). In seiner Rede am Wahltag wandte sich Olmert
mit klingendem Pathos direkt an Mahmoud Abbas und bot
ihm an, mit Friedensverhandlungen zu beginnen.
(Das
erinnert mich an einen Freund, der nach dem 1956-Krieg
einen hochrangigen ägyptischen Gefangenen verhörte. Der
erzählte ihm, wie sie am Radio den Reden von David
Ben-Gurion zuhörten. Jedes Mal, wenn er verkündete: „Wir
strecken euch unsere Hände zum Frieden entgegen“,
versetzten sie ihre Armee in äußerste Alarmbereitschaft.
Es scheint eine israelische Version des lateinischen
Sprichwortes zu sein si vis pacem, para bellum –
wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.)
Olmerts Angebot an Mahmoud Abbas wird mit einem großen
Zwinkern gegenüber dem israelischen Publikum begleitet.
Jeder versteht, dass dies eine Phase ist, die wir
durchlaufen müssen, bevor wir zur wirklichen Sache
kommen. Es ist ein Manöver mit vielfältigen Absichten:
Peretz mit einem Feigenblatt versehen, wenn er darum
gebeten wird, die einseitigen Schritte zu unterstützen,
die Amerikaner zufrieden zu stellen, wenn sie darum
gebeten werden, bei der Annexion großer Teile der
Westbank zuzustimmen, und Lieberman und Shas ein oder
zwei Jahre zu geben, in denen sie sich an der Regierung
erfreuen, bevor Olmert den „Plan des Zusammenlegens“ (
falls er jemals zustande kommt) erfüllen wird.
Das
ist allen klar. Darum : Keiner, absolut keiner,
diskutiert das Angebot an Mahmoud Abbas, während jeder
über die Annexion, die danach kommt, redet.
Wie
jener britische Wachposten: Rufe einmal, rufe zweimal,
rufe ein drittes Mal und dann schieße.
Doch da gibt es noch eine
Frage: Wie können Amir Peretz und seine Kollegen
zusammen mit einer Person wie Lieberman in der
Regierung sitzen?
Lieberman ist ein Mann der extrem-extremen Rechten. Er
könnte Jean Marie Le Pen und Jörg Haider Lektionen
erteilen. Er ist der einzige Führer seiner Partei, seine
Rede ist verletzend und brutal, seine Botschaft ist
rassistisch. Er proklamiert offen sein Ziel: alle Araber
aus Israel auszuschließen.
Vor
den Wahlen versprach Peretz, er würde in der Regierung
nicht mit Lieberman zusammen sitzen. Seitdem haben sich
zwei Dinge zugetragen:
Zunächst lud der Führer der linken Meretz-Partei, Yossi
Beilin, Lieberman zu einem breit veröffentlichten
Frühstück in sein Haus ein, bei dem ( laut ausgelassener
Reporter) „saftige Heringe“ genossen wurden. Dann lobte
er enthusiastisch Liebermans persönliche Qualitäten. Auf
diese Weise legitimierte er diese Person, die bis dahin
als jenseits politischer Grenzen des Erlaubten
betrachtet wurde.
Dann, nach den Wahlen geschah noch etwas
Schändlicheres. Peretz’ Leute erklärten, dass er und
nicht Olmert an der Spitze der nächsten Regierung
stehen würde. Es sollte eine „soziale Koalition“ ohne
Kadima sein. Eine einfache Rechnung zeigt, dass solch
eine Koalition nicht nur Shas einschließen muss, sondern
auch die Nationale Union, die Siedlerpartei, die mit
Lieberman in puncto Rassismus konkurriert . Dieser Trick
verleiht der ganzen rassistischen Rechten Legitimation.
Wenn Extremisten wie Benny Eilon und Effi Eytam koscher
sind, warum nicht auch Lieberman ?
Wie
konnte Peretz das geschehen? Es war eindeutig eine
überstürzte Reaktion des Verhaltens von Kadima.
Unmittelbar nach den Wahlen hätte Olmert Peretz
aufrufen und ihn zu seinem bevorzugten Partner erklären
sollen. Stattdessen begannen Olmerts Leute Peretz zu
demütigen und für den Posten des Finanzministers, um
den er dringend gebeten hatte, für ungeeignet zu
erklären. Wütend begann Peretz Maßnahmen gegen Olmert,
um ihm Angst zu machen. Verständlich, aber
unverzeihlich. Es war eine persönliche Reaktion, die
aber großen Schaden anrichtete. Es legitimierte so
Lieberman als Kandidaten für die Mitgliedschaft in der
Regierung. Es machte auch die arabischen Bürger wütend
und erweckte den Eindruck, dass Peretz doch nicht ein
solch standhafter Kämpfer für den Frieden sein werde.
Das ist alles sehr Besorgnis erregend. Die nächste
Regierung könnte zwar kaum schlechter als die
Likudregierung sein. Ob sie viel besser sein wird, ist
eine offene Frage. Aber sicherlich wird sie nach allen
Seiten zwinkern.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)
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