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Bibi und die Jojos
Uri Avnery
28.Mai 2011
ES WAR alles ziemlich ekelhaft.
Sie waren dort, die Mitglieder der höchsten
Legislative der größten Supermacht der Welt und sprangen auf und
nieder wie so viele Jojos, applaudierten alle paar Minuten oder
Sekunden wild zu den unverschämtesten Lügen und Verdrehungen von
Binjamin Netanyahu.
Es war schlimmer als im syrischen Parlament
während einer Rede von Bashar Assad, wo jeder, der nicht
applaudierte, sich im Gefängnis wiederfindet. Oder in Stalins
Oberstem Sowjet: wenn man nicht genügend Respekt zeigte, konnte das
den Tod bedeuten.
Was die amerikanischen Senatoren und
Kongressmänner fürchteten, war ein Schicksal, das schlimmer als der
Tod wäre. Jeder, der sitzen blieb oder nicht begeistert genug
applaudierte, konnte von der Kamera eingefangen werden – und das
bedeutete: politischer Selbstmord. Es genügte, dass ein einziger
Kongressmann aufstand und applaudierte, und alle anderen folgten
seinem Beispiel. Wer würde es gewagt haben, dies nicht zu tun?
Die Ansicht dieser Hunderte von Parlamentariern,
die aufsprangen und wieder und wieder und noch einmal zusammen mit
dem Führer applaudieren, der dies gnädigerweise mit einer
Handbewegung erwiderte, erinnerte an andere Regime. Nur war es
dieses Mal nicht der lokale Diktator, der diese Verherrlichung
abnötigte, sondern ein ausländischer.
Der deprimierendste Teil war, dass es kein
einziges Kongressmitglied gab – Republikaner oder Demokrat – der es
wagte, zu widerstehen. Als ich, ein neun Jahre alter Junge in
Deutschland war, wagte ich, meinen Arm nicht zu heben, als alle
meine Schulkameraden zum Hitlergruss den Arm hoben und das
Horst-Wessel-Lied sangen. Gibt es denn keinen in Washington DC, der
dieses bisschen Mut aufbringt? Ist Washington wirklich IOT –
israelisch besetztes Gebiet – wie die Antisemiten behaupten?
Vor vielen Jahren besuchte ich den Senat und
wurde den führenden Senatoren vorgestellt. Ich war zu tiefst
schockiert. Nachdem ich mit großem Respekt vor dem Senat der USA
aufgewachsen war, dem Land von Jefferson und Lincoln, stand ich vor
einem Haufen aufgeblasener Trottel, viele von ihnen Idioten, die
nicht die leiseste Ahnung von dem hatten, über das sie sprachen. Mir
wurde gesagt, dass es ihre Assistenten seien, die die Dinge wirklich
verstünden.
WAS HAT also der große Mann diesem erlesenen
Publikum gesagt?
Es war eine ausgezeichnete Rede, die alle
Standardtricks der Professionellen anwandte – die dramatische Pause,
der erhobene Finger, die kleinen geistreichen Bemerkungen, wegen der
Wirkung wiederholte Sätze. Kein großer Redner, auf jeden Fall kein
Winston Churchill, aber gut genug für diese Zuhörer und diese
Gelegenheit.
Aber die Botschaft konnte mit einem Wort
zusammengefasst werden: NEIN.
Nach ihrem katastrophalen Debakel 1967 trafen
sich die Führer der arabischen Welt in Khartum und nahmen die
berühmten Drei Neins an. NEIN zur Anerkennung Israels. NEIN zu
Verhandlungen mit Israel, NEIN zum Frieden mit Israel. Es war genau
das, was sich Israels Führung wünschte. Sie konnten glücklich ihrem
Geschäft nachgehen, die Besatzung etablieren und die Siedlungen
bauen.
Jetzt hatte Netanyahu sein Khartum. NEIN zur
Rückkehr zu den 1967er-Grenzen. NEIN zur palästinensische Hauptstadt
in Ost-Jerusalem. NEIN auch zu einer symbolischen Rückkehr von
einigen Flüchtlingen. NEIN zum militärischen Rückzug vom Jordanufer.
Das bedeutet, dass der zukünftige palästinensische Staat vollkommen
von Israels Armee umzingelt sein würde. NEIN zu Verhandlungen mit
einer palästinensischen Regierung, die von Hamas „unterstützt“ wird,
selbst dann, wenn keine Hamas-Mitglieder in der Regierung sein
würden. Und so weiter – NEIN. NEIN. NEIN.
Das Ziel ist klar: sicher zu stellen, dass kein
palästinensischer Führer jemals von Verhandlungen träumen kann,
selbst bei einem unwahrscheinlichen Fall, dass er für eine andere
Bedingung bereit wäre: Israel als „Nationalstaat des jüdischen
Volkes“ anzuerkennen – was die Dutzenden jüdischer Senatoren und
Kongressleute einschließt, die die ersten beim Hoch- und
Runterspringen waren - wie so viele Marionetten.
Netanyahu als auch seine Komplizen und
politischen Bettgenossen sind entschlossen, mit allen Mitteln die
Errichtung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Dies
beginnt nicht mit der Politik der gegenwärtigen Regierung – es ist
ein Ziel, das tief in der zionistischen Ideologie und Praxis liegt.
Die Gründer der Bewegung legten den Kurs fest; David Ben-Gurion
handelte 1948 danach, um dies in geheimer Absprache mit König
Abdallah von Jordanien zu erfüllen. Netanyahu fügt nur gerade seinen
kleinen Teil bei.
„Kein palästinensischer Staat“ bedeutet keinen
Frieden, weder jetzt noch später. Alles andere ist Quatsch. All die
frommen Sprüche über das Glücklichsein unserer Kinder, Wohlstand für
die Palästinenser, Frieden mit der ganzen arabischen Welt, eine
glänzende Zukunft für alle, sind genau das – nämlich Quatsch.
Wenigstens einige der Zuhörer müssten das bemerkt haben – selbst bei
all dem Springen.
NETANYAHU SPUCKTE in Obamas Gesicht. Die
Republikaner unter den Zuhörern müssen sich darüber gefreut haben.
Vielleicht auch einige Demokraten.
Es kann vermutet werden, dass Obama sich nicht
freute. Was wird er jetzt tun?
Es gibt einen jüdischen Witz über einen hungrigen
Kerl, der ein Gasthaus betrat und lautstark Essen forderte. Sonst
würde er das tun, was sein Vater getan habe. Der ängstliche Gastwirt
gab ihm zu essen, und am Ende fragte er zaghaft: „Aber was hat dein
Vater getan?“ Er schluckte den letzten Bissen herunter und
antwortete: „Er ging hungrig ins Bett.“
Es besteht die gute Chance, dass Obama dasselbe
tun wird. Er wird behaupten, dass die Spucke auf seiner Backe
Regenwasser sei. Sein Versprechen , eine Anerkennung des Staates
Palästina durch die UN-Vollversammlung zu verhindern, beraubt ihn
seines wichtigsten Druckmittels gegenüber Netanyahu.
Irgendjemand in Washington scheint die Idee zu
haben, Obama solle nach Jerusalem kommen und in der Knesset eine
Rede zu halten. Es würde eine direkte Vergeltung sein – Obama würde
mit der israelischen Öffentlichkeit über den Kopf des
Ministerpräsidenten hinweg reden, so wie Netanyahu sich gerade an
die amerikanische Öffentlichkeit über den Kopf des Präsidenten
hinweg gewandt hatte.
Es würde ein aufregendes Ereignis sein. Als
früheres Mitglied der Knesset würde ich eingeladen werden. Aber ich
würde nicht dazu raten. Ich schlug es vor einem Jahr vor. Heute
würde ich es nicht mehr tun.
Der offensichtliche Präzedenzfall ist Anwar
Sadats historische Rede in der Knesset. Aber das kann man wirklich
nicht vergleichen. Ägypten und Israel waren offiziell noch
miteinander im Kriegszustand. In die Hauptstadt des Feindes zu
gehen, war ohne Präzedenz, um so mehr als nur vier Jahre nach einer
blutigen Schlacht vergangen waren. Es war ein Akt, der Israel
erschütterte und mit einem Schlag einen ganzen Haufen von
Vorstellungen löschte und die Gemüter für Neues öffnete. Keiner von
uns wird jemals den Moment vergessen, als die Tür des Flugzeuges
sich öffnete und er da war – stattlich und ernst – der Führer des
Feindes.
Als ich später einmal Sadat bei ihm zu Hause
interviewte, erzählte ich ihm: „Ich wohne in der Hauptstraße von Tel
Aviv. Als Sie aus dem Flugzeug kamen, warf ich einen Blick aus dem
Fenster. Nichts bewegte sich auf der Straße außer einer Katze – und
auch sie suchte wahrscheinlich nach einem Fernseher.“
Ein Besuch Obamas würde ganz anders sein.
Natürlich würde er höflich empfangen werden – zwar ohne das
zwanghafte Aufspringen und Klatschen – wenn auch wahrscheinlich von
Knessetmitgliedern der extremen Rechten durch Zwischenrufe gestört.
Aber das würde alles sein.
Sadats Besuch war etwas Einzigartiges. Ein Besuch
von Obama wäre etwas ganz anderes. Er würde die israelische
öffentliche Meinung nicht erschüttern, es sei denn, er käme mit
einem konkreten Aktionsplan – einem detaillierten Friedensplan mit
einem detaillierten Zeitplan, unterstützt von klarer
Entschlossenheit, das auch durchzusetzen, egal wie hoch die
politischen Kosten sein würden.
Noch eine nette Rede, die wunderbar formuliert
ist, genügt nicht. Nach der Redenflut der letzten Woche reicht es
erst einmal. Reden können bedeutsam sein, wenn sie Handlungen
begleiteten, sie sind aber kein Ersatz für Handlungen. Churchills
Reden halfen, die Geschichte gestalten – aber nur weil sie
historische Taten reflektierten. Ohne die Schlacht um England, ohne
die in der Normandie und El-Alamein hätten diese Reden lächerlich
geklungen.
Nun, wo alle Wege zum Frieden blockiert sind,
bleibt nur ein Aktionskurs: die Anerkennung des Staates Palästina
durch die Vereinten Nationen, verbunden mit gewaltfreien
Massenaktionen des palästinensischen Volkes gegen die Besatzung. Die
israelischen Friedenskräfte werden dabei auch ihre Rolle spielen,
weil das Schicksal Israels genau wie das Schicksal Palästinas vom
Frieden abhängt.
Sicher werden die USA versuchen, dies zu
blockieren, und der Kongress wird auf und ab springen. Aber der
israelisch-palästinensische Frühling ist auf dem Weg.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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