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Die Zukunft gehört den Optimisten
Uri Avnery,
13.August 2016
WENN ICH
ein Karikaturist wäre, würde ich Israel als langen Schlauch
zeichnen.
Und an einem Ende
fließen Juden, von Antisemiten und einem großen zionistischen
Apparat ermutigt, hinein.
Am andern Ende
strömen junge enttäuschte Israelis hinaus und siedeln in Berlin und
an andern Orten.
Übrigens scheint
die Zahl der Ankommenden mit denen, die gehen, etwa gleich zu sein.
SEIT EINIGEN
Wochen habe ich mich wie ein Junge gefühlt, der einen Stein in einen
Teich geworfen hat. Wasserringe werden durch den Aufschlag größer
und dehnen sich immer weiter aus.
Alles, was ich tat,
war ein kurzer Artikel in Haaretz, der den israelischen Emigranten
in Berlin und in anderen Orten zurief, nach Hause zu kommen und am
Kampf teil zu-nehmen, um Israel vor sich selbst zu retten.
Ich war bereit
einzugestehen, dass jeder Mensch das Recht zu wählen hat, wo er
oder sie zu leben wünscht (vorausgesetzt die örtlichen Behörden
heißen sie Willkommen), doch bat ich sie dringend darum, ihre Heimat
nicht aufzugeben. Kommt zurück und kämpft, bat ich sie inständig.
Ein Israeli, der in
Berlin lebt, der Sohn eines wohl bekannten Professors (den ich sehr
schätze) antwortete mit einem Artikel „Danke, nein!“ Er behauptete,
dass er schließlich von Israel und seinen ständigen Kriegen
verzweifelt war. Er wünschte für seine Kinder, dass sie in einem
normalen, friedlichen Land aufwachsen.
Dies begann und
löste eine wütende Debatte aus, die noch weitergeht.
WAS AN diesem
Wortgefecht neu ist, ist, dass beide Seiten ihre Vorwände aufgeben.
Seit den ersten
Tagen Israels hat es immer Israelis gegeben, die lieber wo anders
lebten. Doch gaben sie immer vor, dass ihr Aufenthalt im Ausland nur
vorübergehend sei, nur um ihre Studien zu beenden, nur um etwas Geld
zu verdienen, nur um ihrem nicht-israelischen Ehepartner zu
überzeugen. Bald, sehr bald sogar würden sie zurückkehren und ein
vollwertiger Israeli werden.
Nicht mehr. Die
heutigen Emigranten proklamieren stolz, dass sie nicht mehr hier
leben und ihre Kinder aufziehen wollen, dass sie schließlich in
Israel verzweifelt sind und dass sie ihre Zukunft im neuen
Heimatland sehen. Sie geben nicht einmal vor, dass sie einen Plan
hätten, zurückzukommen.
Andrerseits haben
Israelis aufgehört, die Emigranten als Verräter, Deserteure, als
Schlacke zu behandeln. Es war vor noch nicht langer Zeit, dass
Yitzhak Rabin, der ein Talent hatte, hebräische Phrasen zu erfinden
und die Emigranten „Abfallprodukt der Schwächlinge“ nannte (Im
Hebräischen klingt es weit beleidigender).
Die fast offizielle
Bezeichnung der Emigranten war „Yordim“ , die die hinuntergehen.
Immigranten werden „Olim“ genannt, diejenigen, die nach oben gehen.
Heute werden
Emigranten nicht mehr verflucht – etwas, das schwer zu tun ist, weil
viele von ihnen die Söhne oder Töchter der israelischen Elite sind.
ES GAB
eine Zeit, als es in Israel, besonders unter Historikern Mode war,
Vergleiche zwischen Israel und dem mittelalterlichen
Kreuzfahrer-Königreich zu ziehen.
Die meisten Leute
glauben, dass das Kreuzfahrer-Königreich von Jerusalem etwa hundert
Jahre dauerte und vom großen Saladin in der historischen Schlacht
bei den Hörnern von Hattim, nahe Tiberias , zerstört wurde.
Aber das war nicht
der Fall. Das Königreich lebte noch weitere hundert Jahre ohne
Jerusalem und mit Acco als Hauptstadt. Es wurde nicht durch eine
Schlacht zerstört – sondern durch Auswanderung. Es war ein
ständiger Strom von Kreuzfahrern – sogar Söhne und Töchter der 6.
oder 7. Generation – die es „aufkündigen“ nannten und nach Europa
„zurückkehrten“, nachdem sie von dem Unternehmen enttäuscht waren.
Natürlich sind die
Unterschiede zwischen den beiden Fällen immens – verschiedene
Zeiten, verschiedene Situationen, verschiedene Ursachen. Doch für
mich, einem dilettantischen Studenten der Kreuzzüge, sind die
Ähnlichkeiten bedeutend. Ich bin beunruhigt.
Unter Historikern
gab es eine Debatte über eine wichtige Frage: Hätten die Kreuzfahrer
mit den Muslimen Frieden machen und ein integraler Teil des
mittelalterlichen Orient werden können?
Wenigstens ein
prominenter Kreuzfahrer, Raymond von Tripoli, scheint einen solchen
Verlauf für möglich gehalten zu haben, doch allein die Natur des
Kreuzfahrerstaates verhinderte dies. Schließlich kamen die
Kreuzfahrer deshalb nach Palästina, um die Ungläubigen zu bekämpfen
(und ihr Land wegzunehmen). Mit Ausnahme einiger kurzer
Waffenstillstände, kämpften sie vom ersten bis zum letzten Tag.
Die Zionisten
folgten bis jetzt demselben Pfad. Wir sind mit einem ewigen Krieg
beschäftigt. Einige schwache Bemühungen von einigen lokalen
Zionisten, die ganz am Anfang eine Verbindung mit Arabern gegen die
ottomanischen Türken knüpften (die in jener Zeit das Land regierten)
wurden von der zionistischen Führung ignoriert. (Erst heute, als
ich die Morgenzeitung las, bemerkte ich wieder, dass etwa 70% der
Nachrichten direkt oder indirekt den zionistisch-arabischen
Konflikt betreffen.)
Es stimmt, dass vor
der Gründung Israels bis heute es immer einige Stimmen gab (unter
ihnen auch die meinige), die sich für eine Integration in der Region
aussprachen; aber sie sind von allen israelischen Regierungen
ignoriert worden. Die Führer zogen immer einen andauernden Konflikt
vor, der es Israel ermöglicht, sich zu vergrößern – ohne
(festgelegte) Grenzen.
BEDEUTET DIES,
dass wir über unsern Staat verzweifeln müssen, wie es diese
Jugendlichen in Berlin tun?
Meine Antwort ist:
überhaupt nicht. Nichts ist vorherbestimmt. Wie ich unsern Freunden
Unter den Linden zu sagen versuche – alles hängt von uns ab.
Aber zuerst müssen
wir uns selbst fragen: Welche Art von Lösung wünschen wir?
Meine Freunde und
ich gewannen einen historischen Sieg, als unser Konzept – Zwei
Staaten für zwei Völker - zum Weltkonsens wurde. Aber jetzt haben
einige Leute erklärt, dass „die Zwei-Staaten-Lösung“ tot sei.
Dies verwundert
mich. Wer ist der Arzt, der die Todesurkunde bestätigte? Aus welchen
Gründen? Es gibt viele verschiedene Arten dieser Lösung, in Bezug
der Siedlungen und der Grenzen, wer hat entschieden, dass sie alle
unmöglich sind?
Nein, die
Todesurkunde ist eine Fälschung. Das Zwei-Staaten-Ideal lebt, weil
es die einzige lebenswerte Lösung hier ist.
ES GIBT
zwei Arten von hoch motivierten politischen Kämpfern: diejenigen,
die nach idealen Lösungen Ausschau halten und jene, die sich für
realistische Lösungen einsetzen.
Die erste Art ist
bewundernswert. Sie glauben an eine ideale Lösung, die in der Praxis
von idealen Leuten unter idealen Umständen ausgeführt werden kann.
Ich unterschätze
solche Leute nicht. Manchmal bereiten sie den theoretischen Weg für
Leute vor, die ihren Traum nach zwei oder drei Generationen
realisieren.
(Ein Historiker
schrieb einmal, dass jede Revolution mit der Zeit irrelevant
geworden ist, wenn sie ihre Ziele erreicht hat. Ihre Grundlage wird
von ein paar Theoretikern einer Generation gelegt. Sie sammeln
Anhänger in der nächsten Generation und nach einiger Zeit wird dies
von der dritten Generation realisiert – da ist sie schon veraltet.
Ich will mich für
eine realistische Lösung einsetzen – eine Lösung, die von realen
Leuten in der realen Welt ausgeführt werden kann.
Die
Ein-Staat-Lösung ist ideal aber unrealistisch. Sie könnte real
werden , wenn alle Juden und alle Araber nette Leute sein würden,
einander umarmen, ihren Groll vergessen, zusammen zu leben wünschen,
dieselbe Flagge grüßen, dieselbe Nationalhymne singen, in derselben
Armee und Polizei dienen, denselben Gesetzen gehorchen, dieselben
Steuern zahlen, ihre religiösen und historischen Narrative ändern,
vorzugsweise einander heiraten. Das wäre schön. Vielleicht sogar
möglich – in fünf oder gar zehn Generationen.
Wenn nicht eine
Ein-Staat-Lösung ein Apartheidstaat bedeuten würde, mit endlosem
internen Krieg, viel Blutvergießen, vielleicht gar am Ende ein Staat
mit arabischer Mehrheit und einer jüdischen Minderheit, die durch
eine ständige Auswanderung reduziert wird.
Die
Zwei-Staaten-Lösung ist nicht ideal, aber realistisch. Sie bedeutet,
dass jedes der zwei Völker in seinem eigenen Staat leben kann, den
sie ihr eigen nennen, unter ihrer eigenen Flagge, mit ihren eigenen
Wahlen, eigenem Parlament und Regierung, eigner Polizei und eigenem
Bildungssystem, ihrem eigenen Olympia-Team.
Die beiden Staaten
werden nach Wahl oder Notwendigkeit, im Laufe der Zeit gemeinsame
Institute entwickeln vom notwendigen Minimum zu einem größeren
Optimum. Vielleicht werden sie sich einer Föderation nähern, wenn
sich die gegenseitigen Beziehungen erweitern und der gegenseitige
Respekt sich vertieft.
Wenn die Grenzen
zwischen den beiden Staaten festgelegt werden, wird das Problem der
Siedlungen lösbar sein – einige werden sich durch Landtausch Israel
anschließen, einige werden ein Teil Palästinas werden oder aufgelöst
werden, militärische Beziehungen und gemeinsame Verteidigung werden
durch Realitäten geschaffen werden.
All dies wird
ungemein verwickelt sein. Haben wir keine Illusionen. Aber es ist in
der realen Welt möglich, von realen Menschen ausgearbeitet.
ES GEHT
um diesen Kampf, warum ich die Söhne und Töchter in Berlin und aus
aller Welt rufe, aus der neuen israelischen Diaspora, nach Hause zu
kommen und sich mit uns zu vereinigen.
Verzweiflung ist
leicht, sie ist auch bequem, ob in Berlin oder Tel Aviv. Schauen wir
uns in diesem Moment um, dann ist die Verzweiflung auch logisch.
Aber Verzweiflung
korrumpiert. Verzweifelte Leute schaffen nichts und nie.
Die Zukunft gehört
den Optimisten.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom
Verfasser
autorisiert.)
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