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Israel Shahak - Nachwort von Edward W. Said

Professor Israel Shahak, emeritierter Professor der Anorganischen Chemie der Hebräischen Universität in Jerusalem, ist einer der ungewöhnlichsten Menschen im heutigen Nahen Osten. Vor nahezu 25 Jahren traf ich ihn zum ersten Mal und begann zunächst in den Nachkriegswirren von 1967 und dann nach dem Krieg von 1973 eine intensive Korrespondenz mit ihm. Geboren in Polen, kam er nach seiner Flucht aus einem nationalsozialistischen Konzentrationslager als Überlebender unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina. Wie alle jungen Israelis dieser Zeit diente er in der Armee und wurde danach entsprechend den israelischen Gesetzen jeden Sommer zu Wehrübungen eingezogen. Mit seinem leidenschaftlichen, unerbittlich fragenden und tiefgründigen Intellekt setzte er seine Laufbahn als hervorragender Hochschullehrer auf dem Gebiete der Organischen Chemie fort, wurde von seinen Schülern oft als bester Lehrer namentlich genannt und erhielt Preise für seine akademische Leistung. Gleichzeitig begann er selbst nachzuforschen, welche Folgen der Zionismus und die Praktiken des Staates Israel für das Leid und die Beraubung nicht nur der Palästinenser des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens, sondern auch für die vielen "nichtjüdischen" Menschen (d.h. die palästinensische Minorität) hatten, die das Land nach der Austreibung von 1948 nicht verließen, blieben und dann israelische Bürger wurden. Dies führte ihn zu einer systematischen Untersuchung der Natur des israelischen Staates, seiner Geschichte sowie seines ideologischen und politischen Denkens, das, wie er schnell herausfand, die meisten Nicht-Israelis und hier insbesondere die Juden in der Diaspora nicht kannten, für die Israel ein außergewöhnlicher, demokratischer und wunderbarer Staat war, der bedingungslose Unterstützung und Verteidigung verdiente.

Er gründete dann die Israelische Liga für Menschenrechte und war mehrere Jahre lang der Präsident dieser Organisation, einer kleinen Gruppe gleichgesinnter Menschen, die die Meinung vertraten, daß die Menschenrechte für alle gleichermaßen und nicht nur für Juden gelten. Gerade in diesem Zusammenhang erhielt ich zuerst Kenntnis von seiner Arbeit. Ein Punkt, in dem sich Professor Shahaks politische Einstellung scharf von der Meinung der meisten anderen israelischen oder nicht-israelischen jüdischen Tauben klar abhob, war die Tatsache, daß er die ungeschminkte Wahrheit klar aussprach, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob diese Wahrheit, wenn man sie deutlich sagt, für Israel oder die Juden "gut" sein könnte. In seinen Schriften und öffentlichen Äußerungen trat er als scharfsinniger und, ich würde sagen, aggressiver und radikaler Nicht- und Antirassist auf. Da es für ihn einen und nur einen Maßstab bei der Verletzung der Menschenrechte gab, spielte es keine Rolle, ob die israelischen Juden die Palästinenser dauernd angriffen, weil er als Intellektueller Zeugnis gegen diese Angriffe ablegen mußte. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß er in Israel sehr schnell äußerst unbeliebt wurde, gerade weil er diese Position so unnachgiebig vertrat. Ich erinnere mich, daß er vor etwa 15 Jahren für tot erklärt wurde, obwohl er selbstverständlich quicklebendig war. Die Washington Post meldete seinen "Tod" in einem Bericht. Die Tatsache, daß er die Post, wie er seinen Freunden heiter mitteilte, besuchte, um zu beweisen, daß er "nicht" tot war, hinterließ bei dieser Zeitung keinen Eindruck. Eine Gegendarstellung erfolgte nie! Deshalb ist er für einige Leute noch immer "tot", ein Wunschdenken, das lediglich zeigt, wie unbequem er den "Freunden Israels" ist.

Gesagt werden muß auch, daß Shahak die Wahrheit immer rigoros und kompromißlos ausgesprochen hat. Er verführt nicht, macht keinen Versuch, sie "nett" zu sagen und gibt sich keine Mühe, sie angenehm oder erklärbar darzustellen. Für Shahak ist Töten Mord. Er wiederholt, schockiert, macht den Faulen oder Gleichgültigen das menschliche Leid bewußt, für das sie verantwortlich sein könnten. Mitunter verärgert oder erzürnt Shahak die Menschen, was jedoch Teil seiner Persönlichkeit und, auch das muß gesagt werden, seines Sendungsbewußtseins ist. Zusammen mit dem kürzlich verstorbenen Professor Jehoschua Leibowitz, einem Mann, den er tief bewunderte und mit dem er oft zusammenarbeitete, prägte Shahak den Begriff "Judäo-Nazi", um die Methoden zu brandmarken, mit denen die Israelis die Palästinenser unterwerfen und niederhalten. Und doch hat er nie etwas gesagt oder geschrieben, das er nicht selbst herausgefunden, mit eigenen Augen gesehen und direkt erfahren hatte. Der Unterschied zwischen ihm und den meisten Israelis bestand darin, daß er Verbindungen zwischen dem Zionismus, Judaismus und den repressiven Praktiken gegen "Nichtjuden" aufdeckte und natürlich seine eigenen Schlußfolgerungen daraus zog.

Ein großer Teil seiner Schriften hatte schon immer die Aufgabe, Propaganda und Lügen als das, was sie sind, darzustellen. Mit seinen Ausflüchten ist Israel ein einzigartiger Staat in der Welt: Aus Angst vor Vergeltung oder Furcht davor, auf eine Schwarze Liste gesetzt zu werden, sehen oder schreiben Journalisten nicht das, was sie als wahr erkannt haben. Persönlichkeiten in der Politik, der Kultur und im Geistesleben, besonders in Europa und den Vereinigten Staaten, geben sich alle Mühe, Israel hochzuloben, das Land unter allen Nationen der Erde am freundlichsten zu behandeln, auch wenn viele von den Ungerechtigkeiten im Lande wissen. Sie sagen einfach nichts. Das Ergebnis ist ein ideologischer Nebelschleier, den zu verscheuchen sich Shahak mehr als jeder andere bemüht. Als Opfer und Überlebender des Holocaust hat er am eigenen Leibe erfahren, was Antisemitismus heißt. Im Gegensatz zu anderen läßt er aber nicht zu, daß unter dem Vorwand der Schrecken des Holocaust das verfälscht wird, was Israel im Namen des jüdischen Volkes den Palästinensern antut. Für ihn ist das Leid nicht der ausschließliche Besitz nur einer Gruppe von Opfern. Es sollte statt dessen, und ist es auch selten, die Grundlage der Humanisierung der Opfer sein und ihnen zur Pflicht machen, die selbst erlittenen Leiden nicht anderen zuzufügen. Shahak ermahnt seine Landsleute, nicht zu vergessen, daß die erlittene schreckliche Geschichte des Antisemitismus sie nicht berechtigt, nach Belieben zu handeln, nur weil sie selbst gelitten haben. Kein Wunder, daß er so unbeliebt ist, da Shahak durch die Erwähnung solcher Dinge Israels Gesetze und politische Praktiken gegenüber den Palästinensern moralisch untergraben hat.

Shahak geht sogar noch weiter. Er ist ein absoluter und standfester Freidenker, sobald es um die menschliche Geschichte geht. Damit will ich aber nicht sagen, daß er eine negative Einstellung gegenüber Religionen hat. Er wendet sich nur dagegen, die Religion zur Erläuterung von Ereignissen, zur Rechtfertigung irrationaler und grausamer Politik und zur Verherrlichung einer Gruppe von "Gläubigen" auf Kosten anderer zu benutzen. Es überrascht auch, daß Shahak, genau betrachtet, ein Mann der Linken ist. Er nimmt auf vielerlei Weise eine kritische Haltung gegenüber dem Marxismus ein und führt dessen Prinzipien auf europäische Freidenker, liberale und mutige öffentlichkeitswirksame Intellektuelle wie Voltaire und Orwell zurück. Aber noch gefährlicher macht ihn die Tatsache, daß er als Unterstützer der Palästinenser nicht der sentimentalen Vorstellung erliegt, daß, weil die Palästinenser unter Israel leiden, auch ihre Narrheiten entschuldigt werden müßten.

Weit davon entfernt: Shahak hatte immer eine kritische Einstellung gegenüber der Rührseligkeit der PLO, der Nichtanerkennung Israels, der Unfähigkeit einer resoluten Opposition gegen Israel, der schäbigen Kompromisse und des Personenkults, des allgemeinen Fehlens von Seriosität. Er hat sich ferner gegen eine Rache oder ein "ehrenhaftes" Töten von palästinensischen Frauen ausgesprochen und immer die Emanzipation der Frau unterstützt.

Als es während der 80er Jahre bei den palästinensischen Intellektuellen und einigen wenigen Offiziellen der PLO modisch wurde, einen 'Dialog' mit den Tauben von "Frieden Jetzt", der Arbeiterpartei und Merez zu suchen, wurde Shahak regelmäßig ausgeschlossen. Zum einen übte er heftige Kritik an der israelischen Friedensbewegung, weil sie Kompromisse schloß, die Palästinenser zwecks Änderungen in der Politik schamlos unter Druck setzte und nicht die israelische Regierung; weil sie nicht willens war, sich von den Zwängen des "Schutzes" Israels zu befreien, da sie nichts Kritisches darüber hinsichtlich der Nichtjuden äußerte. Zum anderen war er nie ein Politiker. Er hatte einfach kein Vertrauen zu dem Gehabe und den wortreichen Erklärungen, denen sich Leute mit politischen Ambitionen schon immer willig hingaben. Er kämpfte für Gleichheit, Wahrheit, echten Frieden und einen Dialog mit den Palästinensern. Die offiziellen israelischen Tauben kämpften dagegen für Vereinbarungen, die eine Art des Osloer Friedens ermöglichten und den Shahak als erster zurückwies. Als Palästinenser war ich jedoch immer beschämt, daß palästinensische Aktivisten, die sich im Geheimen oder in der Öffentlichkeit um einen Dialog mit der Arbeiterpartei oder dem Merez bemühten, nichts mit Shahak zu tun haben wollten. Er war ihnen hinsichtlich der Amtsgewalt zu radikal, zu direkt und zu sehr Außenseiter. Meiner Meinung nach fürchteten sie auch insgeheim, daß er gegenüber der palästinensischen Politik einen kritischen Standpunkt einnehme. Das hätte er sicherlich getan.

Abgesehen von diesem Beispiel als ein Intellektueller, der seine Berufung nie verriet und bei der Wahrheit, so wie er sie sah, auch keine Kompromisse schloß, leistete Shahak über Jahre hinweg immense Dienste für seine Freunde und Unterstützer im Ausland. Er handelte unter der Voraussetzung, daß die israelische Presse paradoxerweise wahrhaftiger und informativer über Israel als alle anderen arabischen oder westlichen Medien war, und übersetzte, kommentierte, reproduzierte und versandte auch unter großen Mühen Tausende von Artikeln aus der hebräischsprachigen Presse. Diese Dienste können gar nicht überschätzt werden. Als einer, der über Palästina sprach und schrieb, hätte ich meine Arbeit ohne die Arbeiten Shahaks und natürlich seines Beispiels als Wahrheitssucher, ohne seine Kenntnis und Gerechtigkeit nicht tun können. So einfach ist das, und deshalb schulde ich ihm großen Dank. Er verrichtete diese mühevolle Arbeit zum größten Teil auf eigene Kosten und in der ihm verbliebenen Zeit. Die von ihm hinzugefügten Fußnoten und die kleinen Einführungen, die er für seine monatliche Auswahl aus der Presse schrieb, waren hinsichtlich ihres beißenden Witzes, informativen Prägnanz und unendlicher pädagogischer Geduld von unschätzbarem Wert. Währenddessen führte Shahak natürlich seine wissenschaftliche Forschung und seine Lehrtätigkeit fort, die nichts mit seinen Anmerkungen und Übersetzungen zu tun hatten.

Zeitlich konnte er es sich so einrichten, daß er zu einer der gelehrtesten Persönlichkeiten wurde, die ich je gekannt habe. Seine umfassende Kenntnis der Musik, Literatur, Soziologie und vor allem der Geschichte findet in Europa, Asien und anderswo nach meiner Erfahrung nichts Vergleichbares. Als Gelehrter des Judaismus überragt er so viele andere, da er gerade auf diesem Gebiet seine Energien als Gelehrter und politischer Aktivist von Anfang an konzentriert hat. Noch vor wenigen Jahren begann er, in seine Übersetzungen eigene Anmerkungen einzuflechten, die schon bald zu monatlichen Dokumenten mit mehreren tausend Wörtern über ein bestimmtes Thema wurden, wie z.B. der echte rabbinische Hintergrund der Ermordung Rabins oder warum Israel mit Syrien Frieden schließen muß (was überrascht, da Syrien das einzige arabische Land ist, das Israel militärisch gefährlich werden könnte) usw. Sie gaben einen wertvollen Überblick über die Presse und lieferten äußerst scharfsinnige und oft auch erhellende Analysen aktueller Trends und Probleme, über die die wichtigsten Medien nur unklar oder überhaupt gar nicht berichteten.

Professor Shahak habe ich nie anders als einen großartigen Gelehrten, brillanten Intellektuellen und universellen Gelehrten sowie politischen Aktivisten gekannt. Wie ich jedoch schon oben gesagt habe, wurde mir klar, daß sein größtes "Hobby" das Studium des Judaismus der rabbinischen und talmudischen Tradition sowie der Lehren hinsichtlich dieses Themas ist. Dieses Buch leistet deshalb einen bedeutenden Beitrag zu diesen Dingen. Es ist nicht weniger als eine kurz gefaßte Geschichte des "klassischen" als auch neueren Judaismus, da diese zu einem Verständnis des modernen Israels beitragen. Shahak zeigt, daß die obskuren, eng chauvinistischen Vorschriften gegen verschiedene unerwünschte andere Menschen im Judaismus (sowie natürlich auch in anderen monotheistischen Traditionen) vorhanden sind. Weiterhin zeigt er die Kontinuität zwischen diesen und die Art und Weise auf, wie Israel die Palästinenser, Christen und andere Nichtjuden behandelt. Dabei erscheint ein verheerendes Bild von Vorurteilen, Heuchelei und religiöser Intoleranz. Wichtig daran ist jedoch, daß Shahaks Beschreibung nicht nur die Fiktionen belebt, die in den westlichen Medien so reichlich vorhanden sind, sondern auch implizit die arabischen Führer und ihre Intellektuellen wegen ihrer skandalösen ignoranten Ansichten über diesen Staat anklagt, und zwar besonders dann, wenn sie ihren Völkern in päpstlicher Weise klarmachen wollen, daß sich Israel tatsächlich geändert hat und jetzt Frieden mit den Palästinensern und anderen Arabern wünscht.

Shahak ist ein sehr mutiger Mann, dessen Dienste für die Humanität gewürdigt werden sollten. Aber in der heutigen Welt ist das von ihm gesetzte Beispiel unermüdlicher Arbeit, unbeugsamer moralischer Energie und intellektueller Brillanz eine peinliche Sache für den Status Quo und jeden, für den das Wort "kontrovers" die Bedeutung von "unwillkommen" und "beunruhigend" hat. Deshalb bin ich sehr erfreut, daß zum ersten Mal ein größeres Werk von ihm in Arabisch erscheint. Ich bin jedoch sicher, daß das, was er in Jewish History, Jewish Religion schreibt, eine Quelle des Unbehagens auch für seine arabischen Leser sein wird. Ich bin ferner sicher, daß er sagen wird, er sei darüber erfreut.

EWS

NYC Januar 1996

 

 

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