Jürgen
Jung
-
Leserbrief zum
Interview
„Vorwurf
und Vorurteil“
in der
SZ vom 8. 11. 2016, S. 32 -
Mit Testzugang lesbar.
Hallo
Herr Wetzel, in Bezug auf Ihr
Interview mit dem Antisemitismus-“Experten“
Jan Riebe muß
ich leider schon wieder
äußerst
betrübt
feststellen, dass
die SZ offensichtlich nicht fähig
scheint, ihre Leser sachgerecht zu
informieren, denn die
Mindestvoraussetzung für
eine faire Berichterstattung wäre
doch wohl, dass
mit den in die Kritik
Geratenen geredet wird, anstatt
immer nur
über
sie.
Im
Übrigen
gibt es reichlich Gründe,
die Qualifikation Ihres
„Experten“
anzuzweifeln. Da ich dies hier nur
sehr kursorisch leisten kann,
erlaube ich mir, Ihnen
im Anhang meine knappe
Zusammenfassung der (von dem
mittlerweile emeritierten Prof.
Wilhelm Kempf geleiteten)
„Konstanzer
Studie“
(von 2012) zu
übersenden.
Allein die Tatsache, daß
Herr Riebe diese bisher gründlichste
empirische Untersuchung des
Zusammenhangs von
„Antisemitismus
und Israelkritik“
nie erwähnt,
lässt
darauf schließen,
dass
er sie entweder nicht kennt
–
was ihn als
„Fachmann“
diskreditieren würde
-, oder sie verschweigt, weil sie möglicherweise
nicht in seinen ideologischen Kram
paßt,
was ihn als ernst zu nehmenden
Wissenschaftler vollends
disqualifizieren würde.
Der
entscheidende Befund der Studie
lautet:
„Die
weit verbreitete Annahme, wonach
Antizionismus eine Spielart von
Antisemitismus ist, fand ... keine
empirische Bestätigung….Menschenrechtsorientierte
Israelkritiker ... stehen
antisemitischen Vorurteilen
…
ablehnend gegenüber.“
Schließlich
noch zwei Klarstellungen:
Zum
einen stellt die BDS-Kampagne
- entgegen der Behauptung von Herrn
Riebe - keineswegs das Existenzrecht
Israels in Frage, sondern im
Untertitel des BDS-Aufrufs heißt
es unmißverständlich:
"Die
Palästinensische
Zivilgesellschaft ruft zu Boykott,
Investitionsentzug und Sanktionen
gegen Israel auf, bis es
internationalem Recht und den
universellen Prinzipien der
Menschenrechte nachkommt.“
Das heißt:
Sobald Israel die völkerrechtswidrige
Besatzung der 1967 (mit einem Präventivkrieg)
eroberten Gebiete beendet, ist auch
die BDS-Kampagne an ihr Ende
gekommen. Genau diese Position
machen auch wir uns zu eigen.
Zum andern wird uns immer wieder
einseitige Israelkritik
vorgeworfen. Dies angesichts der
Tatsache, daß
gerade in Deutschland seit dem
Kriege die historisch
nachvollziehbare philosemitische
Einstellung gegenüber
Israel zu einer nun wirklich höchst
einseitigen Identifikation mit dem
„Staat
der Juden“
geführt
hat und leider auch zur Weigerung,
die Tatsachen (etwa die
„ethnische
Säuberung
Palästinas“)
zur Kenntnis zu nehmen. Diese werden
von zionistischer Seite schlicht
geleugnet, so daß
die Forschungsergebnisse von v. a.
israelischen Wissenschaftlern dann
bei den falschen Israelfreunden
zumindest als
„umstritten“
gelten.
Der
junge israelisch-deutsche Philosoph
Omri Böhm hat im März 2015 in der
New York Times den
deutschen Intellektuellen
(insbesondere Jürgen Habermas)
vorgeworfen, dass ihr „Schweigen zu
Israel“ – und dazu gehört auch das
Beschweigen der Realitäten in
Palästina – nicht nur ein Verrat an
der Kant’schen Aufklärung ist,
sondern „den Holocaust als politisch
signifikante Vergangenheit
.....untergräbt.“
Und
zur im Interview angesprochenen
Problematik des Zionismus hat Omri
Böhm im Februar desselben Jahres in
einer
Sendung des Deutschlandfunks darauf
hingewiesen, daß „Zionismus nicht
vereinbar [ist] mit humanistischen
Werten“ . Gruß Jürgen Jung
PS.
Ich hänge noch einen höchst
aufschlussreichen, gleichfalls
empirisch fundierten Text
"Zur Radikalisierung der
israelischen Politik und
Gesellschaft" an, den aufmerksam
zu lesen ich Ihnen nur empfehlen
kann. |